Aus den vorliegenden empirischen Daten und den aktuellen Konzepten (VBP, QOF) werden vor dem Hintergrund des in dieser
Arbeit entwickelten Rahmenkonzeptes insgesamt 31 Empfehlungen abgeleitet, die teils grundsätzliche, teils technische und
praktische Fragen betreffen. In einigen Fällen lassen sich Empfehlungen entwickeln, die auf den ersten Blick nicht mit den
gängigen Vorstellungen kongruent sind; diese sind hier in der Zusammenfassung gekennzeichnet.
Die drei ersten Empfehlungen betreffen allgemeine Fragen (s. Kap 7.1., 7.2. und 7.3.):
Empfehlung 1: Umfassendes Rahmenkonzept
Pay for Performance (P4P) ist kein isoliert einzusetzendes Instrument, sondern nur im Zusammenhang mit zahlreichen
Kontextfaktoren (z.B. anderen Vergütungselementen) wirksam. Die Implementierung, Weiterentwicklung und Evaluation von
P4P kann folglich nur vor dem Hintergrund eines umfassenden Rahmenkonzeptes erfolgen, das sowohl die professionellen als
auch die organisatorischen, ökonomischen und Systemfaktoren umfasst. Eine erkennbare Wirksamkeit von P4P ist nur dann
zu erwarten, wenn durch eine vorangegangene strategische Analyse die Ansatzpunkte im Gesundheitssystem identifiziert
werden konnten, die von P4P beeinflussbar sind.
Empfehlung 2: P4P ist als langfristige Entwicklung zu etablieren
Es gibt keine Alternative zum Einsatz von P4P, allerdings muss es kritisch, differenziert und integriert in andere Entwicklungen
im Gesundheitswesen implementiert werden, denn in der derzeitigen Situation kann auf kein Instrument verzichtet werden, das
die Qualitäts- bzw. Sicherheitsprobleme günstig zu beeinflussen verspricht. Aber P4P ist keine magic bullet, mit dem alle
Defizite des Gesundheitssystemes geheilt werden können, es ersetzt keine genuine Weiterentwicklungsperspektive auf
Systemebene (Beispiel DRG-System und Sektorproblematik).
Empfehlung 3: Rahmenkonzept für die Implementierung und die Umsetzung von P4P
P4P sollte nicht als rein lerntheoretisch begründetes, einfaches Feedback-Instrument mit Belohnungskomponente verstanden
und eingesetzt werden, dies wäre “zu kurz gesprungen”. Stattdessen müssen sowohl Konzepte des organisatorischen
Wandels und Kontext-bezogene Veränderungsstrategien als auch ökonomische, vergütungstechnische und politische
Weichenstellungen mit einbezogen werden, erst dann kann von einer realistischen Erfolgsschance ausgegangen werden. Aus
ökonomischer Sicht sind vor allem Opportunitätskosten, Diskontierung bzw. Zeitachse und Aspekte der Risikoaversion zu
bewerten, außerdem ein optimales framing. Auf der policy-Ebene geht es in erster Linie um das direction pointing
(Interpretationsebene für die anstehenden Entwicklungen) und um strategische Überlegungen bzgl. der optimalen
Einsatzgebiete der P4P-Vergütung. Weiterhin müssen günstige Rahmenbedingungen geschaffen und eventuelle negative
Nebeneffekte kontrolliert werden.
In der zweiten Gruppe von Empfehlungen werden technische Aspekte des Feedback einschließlich des finanziellen Anreizes
adressiert (Kap. 7.4.). Es ist wenig überraschend, dass die Auswahl der Indikatoren im Vordergrund steht, umfassend
Vorhersagefunktion, Betonung von Patientensicherheit und Patienten-Erfahrungen, die Wahl zwischen administrativen und
klinischen sowie von Prozess- von Ergebnisindikatoren, die Risikoselektion und Stichproben als Mittel gegen ein gaming.
Empfehlung 4: Die Wahl von Indikatoren mit Vorhersagefunktion erfordert eine strategische Problemanalyse
Am Anfang der Implementierung eines P4P-Programmes steht die Entscheidung, ob einzelne (Qualitäts-relevante) Leistungen
eingekauft werden sollen oder ob Indikatoren mit Vorhersagefunktion für die Qualitätsprobleme eines Versorgungsbereiches
genutzt werden sollen. Im ersten Fall etabliert man eine Einzelleistungsvergütung, im zweiten Fall kann man von P4P im
eigentlichen Sinne sprechen, weil die Problemlösungskompetenz der Leistungsanbieter vor Ort anerkannt wird. Eine vorherige
ProblemanaIyse ist jedoch unverzichtbar.
Empfehlung 5: Patientensicherheits-Indikatoren und Patientenerfahrungen integrieren
Im Vordergrund der internationalen P4P-Programme stehen Patientensicherheits- und Indikatoren auf der Basis von
Patientenerfahrungen. Neben strategisch positionierten Indikatoren zu verstärkter Integration, Behandlung chronischer
Erkrankungen und zur Stärkung der Prävention sollten diese auch in Deutschland besonders beachtet werden.
Empfehlung 6: Administrative Indikatoren haben schlechte Sensitivität, klinische Indikatoren sind keine Diagnosen
Administrative Indikatoren sollten wegen ihrer mangelnden Sensitivität nur in P4P-Konzepten mit Einzelleistungsvergütungs-
Charakter verwendet werden (s. Empfehlung 4). Wenn man auf administrative Indikatoren setzt, läuft man die Gefahr einer
verstärkten Mengenausweitung, außerdem wird der Qualitätsgedanke geschwächt, weil diese Indikatoren nicht sensitiv genug
sind, also die Ereignisse, die abgebildet werden sollen, nur unvollständig wiedergeben; Qualitätserfassung wird folglich in der
Expertenorganisation als management-business angesehen. Bei der Verwendung von klinischen Indikatoren ist der
Erhebungsaufwand einzuplanen (und in der Höhe der Anreize zu berücksichtigen), weiterhin ist auf den Unterschied von
epidemiologischen Falldefinitionen (s. nosokomiale Infektionen) zu klinischen Diagnosen hinzuweisen.
Empfehlung 7: Prozessindikatoren sind entscheidend, Ergebnisindikatoren können ergänzen
Im Mittelpunkt sollten wie in den großen internationalen Referenzprojekten (USA, UK) Prozessindikatoren stehen, da
bei Ergebnisindikatoren die Problematik der Risikoselektion zu gewichtig ist, und selbst wenn die Risikoadjustierung
perfekt entwickelt wäre, kleine Einrichtungen systematisch schlechter gestellt werden. Zu den Prozessindikatoren
werden hier auch Komplikationen, unerwünschte Ereignisse und nosokomiale Infektionen gerechnet. Für die Zukunft
sind jedoch Ergebnisindikatoren nicht völlig ausgeschlossen (in erster Linie Outcome-relevante Patientensicherheits-
Indikatoren (z.B. Katheterinfektionen).
Empfehlung 8: Risikoselektion bedeutet Unterversorgung
Besonders bei zugrundeliegenden Vergütungsansätzen (z.B. Pauschalen), die bereits ihrerseits zur Risikoselektion neigen, ist
eine zusätzliche P4P-bedingte Risikoselektion geeignet, eine relevante Unterversorgung zu verusachen. Zumindest soweit
Ergebnisindikatoren eingesetzt werden, ist daher eine möglichst optimale Risikoadjustierung notwendig. Prozessindikatoren
bedürfen im allgemeinen keiner Risikoadjustierung.
Empfehlung 9: Sobald Indikatoren finanziell relevant werden, sind effektive Stichproben notwendig
Eine P4P-Einführung ohne die gleichzeitige Implementierung von Stichproben zur Kontrolle des gaming ist nicht
sinnvoll.
Empfehlung 10: Die organisatorischen Voraussetzungen einer verbesserten Integration der Versorgung fördern
Da in einem stark sektorierten Gesundheitssystem Verantwortungsbereich und Anreiz nur schwer in Deckung zu
bringen sind, müssen die Indikatoren (Prozessindikatoren) auch organisatorische Aspekte einer verstärkten Integration
(IT, gemeinsame Verantwortung für die Patienten) mit einbeziehen.
Empfehlung 11: Feedback nur zeitnah gestalten!
Der Feedback muss zeitnahe gestaltet sein, am besten außerhalb der normalen Erlösvergütung , so dass die P4P-bezogene
Vergütung klar als Anreiz erkennbar ist und nicht von Zeitferne und Unsicherheit geschmälert wird.
Empfehlung 12: Ein ceiling-Effekt muss bedacht und verhindert werden
Ein ceiling-Effekt tritt vor allem bei Übergang in Einzelleistungsvergütung und bei nicht aktuellen Indikatoren auf.
In der vorliegenden Arbeit werden Prozessindikatoren zumindest für den Einstieg in eine P4P-Vergütung klar präferiert. Sie
müssen nach strategischen Überlegungen ausgewählt bzw. entwickelt werden und sollten sich unter Berücksichtigung
organisatorischer Aspekte einer verstärkten Integration besonders auf die Behandlung chronischer Erkrankungen und die
Prävention beziehen. Die nächsten Empfehlungen (s. Kap. 7.5.) richten sich auf organisatorische und systemische Faktoren,
die bei der Implementierung und Praxis von P4P zu beachten sind. Ein motivation crowding out ist nicht zwingend zu
befürchten, der organisatorische Wandel führt neben den Kontext-bezogenen Modellen als Konzept der Verhaltensänderung,
und last but not least: man sollte diskutieren, ob man nicht die Effizienz statt der Qualität allein zur Zielgröße von P4P wählt.
Empfehlung 13: Multiprofessionelle und multidimensionale Implementierung ist zu bevorzugen
Die monoprofessionelle Beschränkung des Professionalismus-Konzeptes auf interne Motivation, Altruismus und Autonomie hat
zu keiner tragfähigen Strategie geführt. Die Implementierung von P4P sollte einem multiprofessionellen Ansatz folgen und
primär die Rollenverständnisse der beteiligten Berufsgruppen weiterzuentwickeln versuchen, ohne die Miteinbeziehung von
Konzepten des organisatorischen Wandels und des Kontextlernens wird jedoch kein Erfolg zu erzielen sein.
Empfehlung 14: Die Organisation als Ganzes ansprechen, den organisatorischen Wandel fördern
P4P setzt die Organisation unter “internen Stress”, es müssen jetzt nämlich zusätzlich zu Kosten und Mengen-bezogenen
Erlösen auch Erlös-wirksame Qualitätsinformationen intern bearbeitet werden, und zwar hinsichtlich sowohl der Abgrenzung
von Verantwortung als auch der Aufgabenstellungen und in der Führungsarbeit.
Empfehlung 15: Motivation Crowding Out - im Blick behalten, aber nicht überschätzen
Es ist nach den empirischen Ergebnissen und aus theoretischer Sicht unklar, ob sich bei P4P externe und interne
Motivation gegenseitig schwächen. Das Problem sollte begleitend untersucht werden (Befragungen etc.).
Empfehlung 16: Value (Effizienz) statt allein Qualität als Zielgröße für P4P-Programm in Betracht ziehen
Das VBP-Programm in den USA setzt auf value (Effizienz) als Zielgröße für P4P und kann damit evtl. eine bessere
Akzeptanz erreichen, denn die Kosten der Versorgung sind ein etablilertes Kriterium für die Außenbeziehungen der
Gesundheitseinrichtungen.
Empfehlung 17: Attraktoren des komplexen Systems diskutieren, Attraktoren nutzen
Es ist lohnenswert, sich getreu der Konzepte der System- bzw. Komplexitätstheorie Gedanken über mögliche Attraktoren zu
machen und sie bei der Implementierung von P4P-Programmen zu nutzen.
Selbst wenn P4P als perfektes, “erweitertes” Feedback imponiert, kann dieses Instrument im isolierten Einsatz keine
grundlegenden Umkehrungen bestehender Anreize im Gesundheitswesen bewirken, sondern bedarf zusätzlicher
ökonomischer (und außerdem politischer) Weichenstellungen. Diese Weichenstellungen betreffen neben einfachen
ökonomischen Überlegungen (z.B. Opportunitätskosten) vor allem Konsequzenzen aus der principal agent Theorie
(Informationsasymmetrie) und der Verhaltensökonomie (z.B. Risikoaversion) sowie Wechselwirkungen von P4P mit dem
dominierenden Vergütungssystem, in das P4P-Elemente integriert werden (z.B. DRG-System). Ganz im Vordergrund stehen
Fragen der Informationsasymmetrie, die für das Konzept von P4P als durchaus kritisch anzusehen sind und die Berechtigung
des P4P-Ansatzes in Abgrenzung von der Einzelleistungsvergütung potentiell in Frage stellen (“Is P4P really Fee for
Service?”).
Empfehlung 18: Höhe der P4P-Zahlungen muss besonders im DRG-System Opportunitätskosten berücksichtigen
Die Höhe des Qualitäts-bezogenen Erlösanteiles muss den Messaufwand, die Opportunitätskosten und die Diskontierung
berücksichtigen und hängt daher stark von der Art des dominierenden Vergütungssystems ab. Bei Einzelleistungsvergütung
und DRGs sind hohe Opportunitätskosten anzusetzen, die Höhe der P4P-Vergütung muss entsprechend hoch angesetzt
werden.
Empfehlung 19: Kleine und häufigere Zahlungen sind zu präferieren
Kleine, häufigere und Ereignis-bezogene P4P-Zahlungen mit on/off-Charakteristik sind größeren integrierten Zahlungen
vorzuziehen
Empfehlung 20: Relative Position, relative Verbesserungen und absolute Grenzwerte kombinieren
Die monetäre Kopplung der P4P-Vergütung kann nicht alleine aufgrund der relativen Position auf einer Rankingliste
vorgenommen werden, sondern muss ebenso gestaffelte Grenzwerte und relative Positionsverbesserungen mit einbeziehen,
damit auch die poor performer einen realistischen Anreiz zur Qualitätsverbesserung haben.
Empfehlung 21: Besonders bei Prozessindikatoren Übergang zur Einzelleistungsvergütung beachten!
Konsequenzen aus der principal-agent Theorie und damit Überschneidungen zur Einzelleistungsvergütung gehören
zu den schwierigsten Fragestellungen, mit denen sich das P4P-Konzept auseinanderzusetzen hat. Die wichtigste
Einsicht besteht darin, dass die Einzelleistungsvergütung überlegen ist, wenn es sich um gut bekannte,
wissenschaftlich abgesicherte Prozessindikatoren handelt. P4P ist nur sinnvoll, wenn eine Informationsasymmetrie
besteht, d.h. das eigentliche Wissen um die Gestaltung der qualitativ angestrebten Leistung bei den
Leistungserbringern liegt. Dies ist z.B. bei Indikatoren aus dem Grenzbereich zwischen Ergebnis- und
Prozessindikatoren (z.B. zur Prävention vermeidbarer Komplikationen), bei der Behandlung chronischer oder
Mehrfacherkrankungen oder bei prozessualen Patientensicherheits-Indikatoren der Fall. Bei Ergebnisindikatoren ist
die Informationsasymmetrie meist kein Problem, hier stellt sich allerdings mit Macht die Problematik der Risikoselektion.
Strukturindikatoren sind als Investitionszuschuss anzusehen.
Empfehlung 22: Indikatoren müssen aktuell sein und regelmäßig gewechselt werden
Um Aktualität und Wechsel zu gewährleisten, ist die Delegation an ein Institut wie dem geplanten Qualitätsinstitut
sinnvoll.
Empfehlung 23: Keine unhinterfragte Kombination mit public reporting, beide Instrumente sind nicht
synergistisch
Entgegen der bisherigen Ansicht ist die Kombination mit public reporting (dual use) äußerst kritisch zu sehen
(ceiling, Aufhebung der Informationsasymmetrie, komplementäre Wirkung hinsichtlich Wettbewerbsdichte), eher ist
ein differenzierter Eisatz beider Instrumente sinnvoll. P4P ist im Vergleich zu public reporting besonders wirksam in
Bereichen (Regionen, Krankheitsgruppen), in denen die Wettbewerbsdichte gering ist. Ein nach Wettbewerbsdichte
differenzierter Einsatz nach Fachgebieten ist ein interessanter Ansatz, der in der Zukunft zu diskutieren wäre.
Empfehlung 24: Berücksichtigung von Risiko- und Verlustaversion sowie optimales framing erforderlich
Die Einführung von P4P muss auf die Risiko- und Verlustaversion der Einrichtungen Bezug nehmen, der Diskontierung
entgegentreten und die positiven Aspekte (Qualitätsverbesserung, professionelle Autonomie) in den Vordergrund stellen. Das
framing kann nicht ohne gesellschaftliche bzw. politische Rahmenbedingungen geschehen, die die Notwendigkeit und die
Perspektiven eines Wechsels der Vergütungslogik als allgemeinen Konsens wiedergeben.
Empfehlung 25: Verlässliche und nachvollziehbare Zahlungen
Das Verständnis für das Zustandekommen der P4P-Zahlungen verbessert die Wirksamkeit des Feedback.
Empfehlung 26: Integration in andere Vergütungssysteme kritisch und differenziert vornehmen
P4P kann grundsätzlich nicht die dominanten Anreize der Vergütungssysteme ausgleichen, in die es “eingebettet”
wird. Dies gilt in Deutschland vor allem für das DRG-System im Krankenhausbereich. Allerdings ist es möglich, eine
vorgeschaltete strategische Analyse vorausgesetzt, durch einen differenzierten Einsatz von P4P Bereiche zu fördern,
die vom DRG-System vernachlässigt werden. Hier ist insbesondere an die Versorgung chronisch, mehrfach erkrankter
Patienten zu denken, weiterhin an die Koordination über die Sektorgrenzen hinweg und die Prävention
Die Koordination einer Gesellschaft kommt nicht ohne eine hierarchische Ebene aus, die Markt, Organisationen und
Gemeinschaft in dieser Aufgabe ergänzt. Die korporatistischen Strukturen der Selbstverwaltung sind in den letzten beiden
Jahrzehnten immer wichtiger geworden, parallel zu einem Wandel des politischen Grundverständnisses weg vom
hierarchischen Verständnis hin zu Konzepten wie Governance, das das Zusammenwirken von staatlichen, privaten und
zivilgesellschaftlichen Strukturen in den Mittelpunkt stellt. Diese Verbreiterung der peripheren Regelungskompetenz mindert
jedoch nicht die Notwendigkeit politisch gesetzter Rahmenbedingungen, neben dem direction pointing spielt hier die
strategische Analyse und das daraus resultierende Setzen strategischer Ziele der Gesundheitspolitik eine große Rolle,
weiterhin die Kontrolle eventueller negativer Auswirkungen, und viertens die Etablierung von Rahmenbedingungen.
Empfehlung 27: direction pointing als elementares Mittel zur Implementierung nutzen
Direction pointing weist wichtige koordinative und unterstützende Eigenschaften auf, ohne die eine Innovation wie ein P4P-
Progamm nicht erfolgreich eingeführt und umgesetzt werden kann. Direction pointing setzt einen aktiven und sichtbaren
Einsatz der politischen Ebene voraus, der Qualität als Richtschnur der gesundheitspolitischen Agenda betont, der alle Ebenen
des Gesundheitssystemes einbezieht, öffentliche Foren schafft, die mit der Thematik beschäftigten Fachgesellschaften fördert,
die Ausbildung entsprechend differenziert und Kontakte zu Einrichtungen der Zivilgesellschaft schafft.
Empfehlung 28: Strategische Ziele setzen I - kein “weiter so”
Aufgrund der Analysen dieser Arbeit kann eine Weiternutzung von langjährig verwendeten Indikatoren nicht empfohlen
werden, genauso wenig wie ein dual use mit Indikatoren aus dem public reporting (s. Empfehlung 23), weil P4P in dieser
Konstellation nach den vorliegenden Daten keine Wirksamkeit aufweist. Da der Einsatz von Ergebnisindikatoren wegen der
Risikoselektion und der strukturellen Benachteiligung kleinerer Einrichtungen nicht unproblematisch ist, bleiben
Prozessindikatoren, die nach einer vorangegangenen Analyse des Handlungsbedarfs ausgewählt werden.
Empfehlung 29: Strategische Ziele setzen II - Prozessindikatoren Problem-orientiert auswählen
Nicht alle Prozessindikatoren sind sinnvoll bei P4P einzusetzen (s. Empfehlung 21). Es müssen diejenigen Prozessindikatoren
identifiziert werden, bei denen die Informationsasymmetrie nicht aufgehoben ist (s.o.) und die übergeordneten Zielen in der
strukturellen Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystemes dienen: Verbesserung der Versorgung von chronisch
und mehrfach erkrankten Patienten hohen Alters, Abbau der Mengenorientierung, Verbesserung der Koordination,
Förderung der Prävention und Integration der Sektoren. Diese Zielsetzung kann nur auf der politischen Ebene unter
“hierarchischer Verantwortung” erfolgen.
Empfehlung 30: Verschlechterung des Zugangs und Datenmanipulation kontrollieren
Die Politik verantwortet die surveillance und Kontrolle etwaiger negativer Auswirkungen einer P4P-Einführung wie
Zugangsprobleme (sozial benachbarte Gruppen, Kontinuität, Risikoselektion) und Verzerrung durch Datenmanipulation.
Frühzeitig im Implementierungsprozess müssen Evaluationen geplant und angestoßen werden.
Empfehlung 31: Rahmenbedingungen als politische Aufgabe
Explizite Rahmenbedingungen bilden den Hintergrund für die Initiierung des politischen Prozesses, für die Implementierung,
die Umsetzung und die Evaluation. Die Rahmenbedingungen betreffen die Koordination der Zuständigkeiten im
Implementierungsprozess genauso wie das Setzen von Meilensteinen für die Akteure, die an der Einführung von P4P beteiligt
sind, die Antizipation von Fehlentwicklung und hemmenden Faktoren, und die Integration in die anderen Entwicklungen des
Gesundheitssystemes, mit denen P4P in Wechselwirkung tritt.
Résumé: Die “komplexe professionelle Systembürokratie”, so der verwendete Arbeitsbegriff, ist in hohem Maße dazu in der
Lage, Unsicherheit zu tolerieren (”intrinsische Unsicherheit”), folglich sind externe Versuche, das System auf explizite
Qualitätskriterien festzulegen, nur schwer zum Erfolg zu führen. Wenngleich eine große Innovationsnähe vorhanden ist, ist
doch die Innovationsbereitschaft als Reaktion auf Umweltreize beschränkt. In dieser Situation hat P4P als Feedback-
Instrument nur dann eine Chance, wenn die Einführung gut mit den ökonomischen Rahmenbedingungen abgestimmt und eine
langfristige politische Begleitung gegeben ist. Bereits die Auswahl der Qualitätsindikatoren erfordert größte Umsicht, denn P4P
muss mit “unverbrauchten” Indikatoren an der Start gehen, die zudem auch noch häufig gewechselt werden müssen - sonst ist
keine Wirkung zu erzielen. Auch ein dual use mit public reporting ist nicht sinnvoll, anders als oft angenommen wird, sind beide
Instrumente nicht synergistisch. Ergebnisindikatoren sind wegen der Notwendigkeit zur Risikoadjustierung und der Problematik
kleiner Gruppen in kleinen Einrichtungen schwer zu etablieren. Aber auch bei Prozessindikatoren ist Vorsicht geboten, denn es
besteht bei schon lange in Gebrauch befindlichen und “allseits bekannten” Prozessindikatoren die Gefahr, dass sich daraus
eine reine Einzelleistungsvergütung entwickelt, die dann besser primär einzuführen wäre. Prozessindikatoren sind allerdings
sinnvoll einzusetzen bei der Behandlung chronischer Erkrankungen, in der Verbesserung der Koordination des Systems und
im Patientensicherheitsbereich; hierzu sind jedoch vorangehende strategische Überlegungen notwendig, die die
Schwachstellen des jeweiligen Gesundheitssystemes identifizieren. Indikatoren auf der Basis von Patienten-Erfahrungen sind
ebenso zu diskutieren wie die Frage, ob man nicht die Effizienz (Qualität zu Kosten, value) als Zielgröße für P4P einsetzt, so
wie es in den USA der Fall ist. Wegen der starken Sektorierung und des Auseinanderfallens von Verantwortungsbereich und
Anreiz müssen die Prozessindikatoren auch organisatorische Aspekte einer verstärkten Integration (z.B. IT) mit einbeziehen.
Vorsicht ist bei der Verwendung von administrativen Daten geboten, da sie ein Sensitivitätsproblem haben, dem wichtigsten
Validitäts-Kriterium eines Indikators; es besteht hier die Gefahr der Mengenausweitung. Epidemiologische Falldefinitionen auf
der Basis klinischer Daten, so wie schon seit geraumer Zeit bei der Erhebung nosokomialer Infektionen üblich, sind eindeutig
vorzuziehen. Die Höhe der P4P-Vergütung muss die Opportunitätskosten berücksichtigen und ist bei Einzelleistungs- und
DRG-Vergütung besonders hoch anzusetzen. Die monetäre Kopplung an die Qualitätskriterien sollte so gestaltet sein, dass
auch die schlechteren Einrichtungen einen Anreiz verspüren, sich zu beteiligen (z.B. relative Positionsverbesserungen als
Zielpunkt). Die Zahlungen müssen wegen der Tendenz zur Diskontierung und Risikoaversion zeitnah, verlässlich,
nachvollziehbar und getrennt von anderen Zahlungsströmen erfolgen. Eine Einführung von P4P kann nicht erfolgreich sein,
wenn man nicht die Risiko- und Verlustaversion der Einrichtungen in Rechnung stellt, insbesondere da sonst die Diskontierung
ein zu großes Gewicht erhält und die positiven Aspekte (Qualitätsverbesserung, professionelle Autonomie) in den Hintergrund
rücken. P4P ist nie allein am Start, es ist immer in andere Vergütungssysteme integriert, und - auch wenn man es wünschen
möchte - P4P kann grundsätzlich nicht die dominanten Anreize dieser Vergütungssysteme ausgleichen, in die es “eingebettet”
ist. Dies gilt in Deutschland vor allem für das DRG-System im Krankenhausbereich. Allerdings ist es möglich, eine
vorgeschaltete strategische Analyse vorausgesetzt, durch einen differenzierten Einsatz von P4P Bereiche zu fördern, die vom
vorherrschenden Vergütungssystem, z.B. dem DRG-System, vernachlässigt werden. Hier ist insbesondere an die Versorgung
chronisch, mehrfach erkrankter Patienten zu denken, weiterhin an die Koordination über die Sektorgrenzen hinweg und die
Prävention. Die Einführung von P4P verlangt ein optimales framing, das auf die Risiko- und Verlustaversion der Akteure
abgestimmt ist, der Diskontierung entgegentritt und die positiven Aspekte (Qualitätsverbesserung) in den Vordergrund stellt.
Die politische Ebene hat im Sinne des Goverance-Konzeptes der Peripherie viel Autonomie und Handlungsfreiheit
zugestanden, spielt bei der Einführung einer neuen Vergütungslogik wie P4P jedoch eine entscheidende Rolle. In erster Linie
handelt es sich um ein effektives direction pointing, einen aktiven und sichtbaren Einsatz der politischen Ebene, der Qualität
als Richtschnur der gesundheitspolitischen Agenda betont, alle Ebenen des Gesundheitssystemes einbezieht, öffentliche
Foren schafft, die mit der Thematik beschäftigten Fachgesellschaften fördert, die Ausbildung entsprechend differenziert und
Kontakte zu Einrichtungen der Zivilgesellschaft schafft. Ein “weiter so” wird nicht funktionieren, vor allem weil eine einfache
Fortschreibung der Qualitätssicherung der vergangenen Jahre bei der Einführung von P4P nicht sinnvoll ist, weil P4P unter
diesen Bedingungen keine Wirksamkeit entfaltet. Auch das framing kann nicht ohne gesellschaftliche bzw. politische
Rahmenbedingungen geschehen, die die Notwendigkeit und die Perspektiven eines Wechsels der Vergütungslogik als
allgemeinen Konsens erscheinen lassen. Die Bevölkerung sieht in der politischen Ebene die Gewährleistung dafür, dass
unerwünschte Begleiterscheinungen eines solchen neuen Vergütungsansatzes rechtzeitig erkannt und korrigiert werden. Sollte
P4P in Deutschland kommen, dann darf nicht wieder das geschehen, was in der Vergangenheit schon mehrfach der Fall war:
dass mit der Evaluationsforschung gar nicht oder zu spät begonnen wurde. Evaluation gehört in das conceptual framework
genauso wie alle anderen Fragen, die hier behandelt wurden. Doppelte Komplexität: ein komplexes Instrument in einem
komplexen System.
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Seite
Kapitel
Zusammenfassung
2. Empfehlungen und Résumé
Seite
Kapitel
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen