► Professionelle Faktoren beziehen sich in erster Linie auf die professionelle Motivation der unterschiedlichen
Gesundheitsberufe, die Berufsbilder und die Koordination der Arbeit auf
Teamebene (s. Tableau 16). Grundsätzlich muss bei jedem
Vergütungssystem, das im beruflichen Kontext angewandt wird, mit
Auswirkungen auf Motivation, Rolle und Zusammenarbeit gerechnet
werden (Prendergast 1999, s. auch Kap. 3.5.1.). Zur Motivation der
Ärzte besteht die wichtigste Befürchtung darin, dass die interne
Motivation (professionelle Einstellung), durch die externe Motivation i.S.
einer Qualitäts-bezogene Vergütung gemindert wird (”crowding out”;
Berenson et al. 2013, Cassel und Jain 2012). Empirisch ist dies jedoch
nicht zu belegen, wie Untersuchungen z.B. im QOL-Projekt in
Großbritannien zeigen (McDonald et al. 2007), und auch von theoretischer Seite gibt es Gegenargumente (Prendergast 1999,
Staehle 1999, S. 242). Dieses häufig geäußerte Argument ist also nicht so durchschlagend, wie man es auf den ersten Blick
meint. Allerdings kommt es zu Verschiebungen in den beruflichen Rollen, inbesondere ändert sich im Rahmen einer P4P-
Einführung die Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflege. Durch die Übernahme vorher ärztlicher Tätigkeiten durch die Pflege
kann es dort zu zusätzlicher Belastung und Unzufriedenheit kommen (Kurtzman et al. 2011, Maisey et al. 2008, McDonald et
al. 2007). Eventuell wird die Teamarbeit erschwert (Maisey et al. 2008), wenngleich im Allgemeinen eine Verbesserung
berichtet wird.
► Auf der institutionellen Ebene (s. Tableau 16) kommt es durch eine P4P-Einführung zu “organisatorischem Stress”. In der
internen Steuerung wird jetzt nicht nur über Mengen und Kosten (bzw. interne Leistungsverrechnung) diskutiert, sondern es
muss über die Qualität der Leistungserbringung gesprochen werden, da sie jetzt
vergütungsrelevant ist (Corrigan und McNeill 2009). Dies beginnt mit der
Erhebung der Qualitätsdaten, eine Ergänzung oder gar Restrukturierung der IT-
Ausstattung wird oft notwendig. Zentral ist dann die Frage, ob die Organisation
oder die einzelnen für die Behandlung verantwortlichen Ärzte oder Abteilungen
Adressaten der P4P-Vergütung sind (Rosenthal und Dudley 2007). Die
Vergütung muss dabei mit dem fachlichen Verantwortungsbereich kongruent
sein. Während im Allgemeinen die Organisation die Zahlungen empfängt (ohne
dass sie weitergeleitet werden), gibt es Hinweise darauf, dass (relativ kleine)
Zahlungen direkt an die Behandler sehr effektiv sind (Chung et al. 2010,
Torchiana et al. 2013). Das Konzept der Ärztlichen Leitung (medical leadership)
wird ein bedeutender Faktor (Frolich et al. 2007), da hier diese Diskussionen
entscheidend mit gestaltet werden. Durch die organisatorische Kleinteiligkeit
wird die Situation im ambulanten Bereich noch komplizierter, weil die
Verantwortung für die Qualität der Leistung auf verschiedene Akteure verteilt ist (Pham et al. 2007).
► Die Datenqualität betrifft in diesem Zusammenhang in erster Linie die Reliabilität (Zuverlässigkeit) der Daten (Begriffe und
Abgrenzung zur Validität s.o.). Unter mangelnder Reliabilität versteht man die zwischen Personen und zu unterschiedlichen
Zeiträumen inkonstante Erfassung der Daten, vor allem aber auch Verzerrungen durch Mängel der Dokumentation und
Fälschung der Daten (sog. gaming, s. Tableau 16). Während die erste Form durch Verbesserung der Definition und der
Spezifikationen der verwendeten Indikatoren anzugehen ist, ist dies im Fall des gaming schwieriger. Der Grund besteht darin,
dass dem gaming eine skeptische oder ablehnende Grundhaltung gegenüber der Qualitätsmessung zugrundeliegt, und zwar
sowohl bei den Gesundheitsberufen als auch auf der Ebene der Organisation. Es gibt Studien, in denen Ärzte in Befragungen
ein gaming offen zugeben (Maisey et al. 2008). Da in diesen Fällen Qualitätsmessung und -vergleich weder zum
professionellen Selbstverständnis noch zur Qualitätskultur der Einrichtung gehört, werden Ausflüchte und Erklärungen gesucht
(Mears und Webley 2010). Man unterscheidet analog zur Steuerhinterziehung eine partiell und eine komplett ablehnende
Haltung, bei ersterer wird bis zu einem gewissen Punkt Compliance geübt und erst darüber hinaus Datenmanipulation
betrieben, bei der zweiten Haltung werden von vorneherein die Daten verfälscht. In den USA gibt es im Bereich der
Datenerhebung zur Infektionsepidemiologie die Einrichtung eines “klinischen Vetos” (clinician veto) gegen die Erhebung von
nosokomialen Infektionen, in denen das nach infektionsepidemiologischen Kriterien erhobene Ereignis durch klinische
Einschätzungen in Frage gestellt wird (und meist trotzdem antibiotisch behandelt wird); die Infektionsepidemiologen warnen
dort vor einer Gefährdung der für infektiologische Zwecke optimierten Erhebungsmethodik (Talbot et al. 2013). In jedem Fall ist
die Frage der Qualitäts- bzw. Sicherheitskultur, einer der Eckpfeiler der Organisationskultur und damit zentraler Baustein des
organisatorischen Zusammenhalts, bei der Beurteilung des gaming von zentraler Bedeutung (s. organisatorisches Lernen).
Zusammenfassend sind auf professioneller und institutioneller Ebene Veränderungen der beruflichen Rollen beschrieben, die
Unsicherheit erzeugen. Verlässliche Daten zur Infragestellung der internen Motivation der Ärzte durch den externen
finanziellen Anreiz gibt es kaum. Vergütungs-relevante Qualitätsaspekte stellen große institutionelle Herausforderungen für die
interne Steuerung dar. Die Reliabilität der Daten betrifft vor allem das gaming, begleitet von zentralen Defiziten im Hinblick auf
die Organisations- und Sicherheitskultur.
Weiter: 2.6. Unerwünschte Nebeneffekte, 2.6.3. Qualität auf Sektor- und Systemebene, Kosteneffektivität
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Kapitel
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2. Langfristige Effekte und Weiterentwicklung
2.6. Synopse: Unerwünschte Nebeneffekte von P4P
2.6.2. Professionelle und institutionelle Effekte, Datenqualität
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Tableau 16: Unerwünschte Effekte von P4P.
Professionelle und institutionelle Faktoren
einschl. Datenqualität:
● Professionelle Faktoren
Motivation
Rollenverständnis der Gesundheitsberufe
Teamarbeit
● Institutionelle Faktoren
IT-Ausstattung
Verantwortung für Qualität
Adressaten der Zahlungen
Konzept des medical leadership
● Datenqualität
Technische Erhebungsprobleme
Gaming
Gliederung: Unerwünschte Nebeneffekte von P4P
- Zugang zur Versorgung einschließlich Kontinuität und
Risikoselektion (Kap. 2.6.1.)
- Professionelle Faktoren (Kap. 2.6.2.)
- Institutionelle Ebene (Kap. 2.6.2.)
- Datenqualität (Kap. 2.6.2.)
- Qualität der Versorgung im gleichen Sektor (Kap. 2.6.3.)
- Qualität der Versorgung auf Systemebene (Kap. 2.6.3.)
- Kosteneffektivität der Versorgung (Kap. 2.6.3.)
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen