► Transsektorale Pauschalen für (Akut-)Erkrankungen und Erkrankungsepisoden: Diese Vergütungsform wird in
Deutschland in erster Linie durch die Integrierte Versorgung nach §140a ff SGB V repräsentiert, in den USA entspricht das
bundled payment dieser Vergütungsform (Belmont et al. 2011). Es werden alle Leistungen, die mit einer Erkrankung
zusammenhängen, unabhängig von ihrer sektoralen Erbringung erfasst. Der Mengenanreiz ist daher geringer, die
Krankheitshäufigkeit lässt sich nicht ohne Ende steigern. Allerdings ist die Zentrierung auf Akuterkrankungen unter
gleichzeitiger Vernachlässigung chronischer Erkrankungen schon allein wegen der
besseren Abgrenzbarkeit ungebrochen, auch gibt es keinen Anreiz zur
Prävention, denn man generiert Erlöse für den behandelten Krankheitsfall und
nicht für die verhinderte Erkrankung bzw. Krankheitsepisode. Wie bei allen
(höherrangigen) Pauschalen besteht ein Anreiz zur Risikoselektion, denn der
Deckungsbeitrag der Pauschale steigt mit sinkender Komorbidität bzw.
Komplikationshäufigkeit. P4P hat in diesem Zusammenhang trotzdem bessere
Einsatzmöglichkeiten als in den vorgenannten Vergütungssystemen. Zum Beispiel
können sehr gut Prozessindikatoren wie die Zeit bis zur stationären Aufnahme
oder betreffend die Behandlung am Wochenende einesetzt werden, selbst die
stationäre Verweildauer kann hier diskutiert werden. Auch Ergebnisindikatoren
können ihren Einsatz finden, soweit die Fallzahl nicht zu gering ist. Zusätzlich zu den besseren Umsetzungsbedingungen von
P4P kann dieses Instrument hier auch strategischer eingesetzt werden, denn die Integrationsfähigkeit des Systems kann bei
gezieltem Einsatz gestärkt werden.
► Erkrankungspauschale: Bei der pauschalierten Vergütung von Patienten mit einer chronischen bzw. komplexen
Erkrankung, wie sie z.B. in den deutschen strukturierten Behandlungsverfahren (DMP) nach § 137f,g angedacht (aber noch
nicht umgesetzt) ist, kann der gesamte Krankheitsverlauf einschließlich aller anfallenden Behandlungen für einen gewissen
Zeitraum (z.B. 1 Jahr) erfasst werden (s. Comprehensive Care Payment in den USA (Miller 2009)). Der Unterschied zur
Populations-bezogenen Pauschalierung (Managed Care) besteht darin, dass das Morbiditätsrisiko auf Populationsniveau beim
Versicherer verbleibt. Trotzdem brauchen P4P-Programme es nicht mehr mit einem starken Mengenanreiz “aufzunehmen”,
stattdessen können hier Prozess- und Ergebnisindikatoren Anwendung finden, eine Risikoselektion ist allerdings möglich.
Typischerweise sind chronische Erkrankungen Gegenstand von Disease Management oder Comprehensive Care
Programmen, auch zumindest sekundärpräventive Maßnahmen finden ihren Sinn. Eine Primärprävention wird jedoch nicht
gefördert.
► Sektorale Populationspauschalen: Sektorale Populationspauschalen sind eine Besonderheit in Deutschland und wurden
als Hausarzt-zentrierte Verträge nach §73b SGB V eingeführt. Zunächst hat die Sektorierung des deutschen
Gesundheitssystemes dadurch zugenommen, weil der ambulante Bereich jetzt aus einem primär- und einem
sekundärfachärztlichen Bereich besteht, die mit gesonderten Budgets und nach dem Willen der jetzigen Regierung (s.
Koalitionsvertrag) auch mit getrennten körperschaftsrechtlichen Strukturen ausgestattet werden sollen. Es wird sich zeigen, ob
sich durch diese Entwicklung der Druck auf den ambulanten und den stationären sekundärfachärztlichen Bereich in Richtung
auf eine bessere und engere Kooperation erhöht und dies zu einer nachweisbar besseren Integration führt (s. Ambulante
Spezialfachärztliche Versorgung nach §116b SGB V). In der HZV besteht kaum ein sinnvoller Anreiz zur Mengenausweitung,
allerdings ein Anreiz zur Risikoselektion gegenüber den Nachbarsektoren. Chronische Erkrankungen sind Gegenstand der
HZV, Prävention kann durch P4P angereizt werden, wenn das Instrument entsprechend eingesetzt wird.
► Populationspauschalen werden in Managed Care-Systemen verwendet. “Als Managed Care wird ein Versorgungssystem
bezeichnet, das die Leistungserbringung und Finanzierung in unterschiedlichem Ausmaß zusammenfasst. Dabei sieht es ein
prospektiv pauschaliertes Finanzierungssystem vor. Managed Care verfolgt die Ziele, Sektoren und Leistungserbringer im
Sinne einer regionalen, Outcome-orientierten Gesundheitsversorgung zu integrieren, sowie deren Effizienz u. a. durch
Zielgruppenorientierung und Prävention sowie Generationenbezug zu verbessern. In der Umsetzung werden selektives
Kontrahieren und die Etablierung von Managementstrukturen bei Kostenträgern und Leistungserbingern eingesetzt. Die
Arztwahl kann in unterschiedlichem Maße eingeschränkt sein,
Instrumente wie Gatekeeping, Disease Management, Case
Management, Qualitätsmanagement, Leitlinien und utilization review
kommen in verschiedenen Kombinationen und wechselndem Umfang
zur Anwendung.” (SVR 2009, Nr. 988). Die Leistungsanbieter, das ist
das entscheidende Charakteristikum, übernehmen das Morbiditätsrisiko
auf Populationsebene, die sog. provider-payer-split ist aufgehoben.
Allerdings besteht kein Mengenanreiz mehr, dagegen jedoch durchaus
ein großer Anreiz zur Risikoselektion und in gewisser Weise auch zur
Vorenthaltung von Leistungen. Der Anreiz für Prävention ist gegeben, er
hängt stark von der Bindungszeit der eingeschriebenen Patienten ab. So
werden Maßnahmen mit kurzem Zeithorizont wie die Grippeimpfung
gefördert, langfristig wirksame Leistungen wie die Zervix-Karzinom-
Prophylaxe weniger, weil das Ereignis evtl. bereits in die nächste
Versicherungsepisode fällt (Frolich et al. 2007). P4P wird innerhalb der
Managed Care Organisation zur internen Steuerung eingesetzt, kann
aber auch für die gesamte MCO zur Qualitätsverbesserung eingesetzt
werden. Zu berücksichtigen ist, dass MCOs primär keinen großen Anreiz
zur Offenlegung ihrer Qualitätsdaten haben. Nicht zuletzt deswegenist es
fraglich, ob P4P in der externen Steuerung von Managed Care Organisationen eine wichtige Rolle spielen kann.
Zusammenfassend können folgende Konsequenzen abgeleitet werden (zur stark schematisierenden Illustration s. Abb. 15):
● Auf den ersten Blick und getreu der Losung “Qualität statt Menge!” drängt sich P4P in der Kombination mit
Einzelleistungsvergütung, der Vergütung von Zeiteinheiten und den sektoralen Pauschalen (z.B. DRG) gewissermaßen auf.
Wie allerdings oben bereits ausgeführt, kann P4P aus mehreren Gründen den Mengenanreiz nicht ausgleichen.
Ausgenommen können Erkrankungen werden, für die eine Mengenausweitung nicht möglich ist (z.B. Geburten, Polytraumata);
hier besteht für P4P ein sinnvolles Einsatzgebiet, wenngleich auch bei diesen Erkrankungen die Opportunitätskosten (s.o.) ein
Ausweichen auf andere Erkrankungen bewirken können.
● Es besteht sogar die Gefahr, dass bei Einzelleistungsvergütung und sektoralen Pauschalen der Mengenanreiz durch P4P
verstärkt wird, und zwar wenn folgende Bedingungen zusammentreffen: (1) es handelt sich um Leistungen, bei denen die
Möglichkeit zur Mengenausweitung besteht (z.B. Endoprothetik), (2) es werden Indikatoren mit geringer Sensitivität verwendet,
wie es bei Indikatoren auf der Basis administrativer Daten der Fall ist, (3) mit den resultierenden Qualitätsdaten wird eine
Mengenausweitung begründet und in den Verhandlungen mit den Kostenträgern durchgesetzt, und eventuell wird zusätzlich
(4) eine aktive Risikoselektion betrieben, weil die Einrichtung aufgrund ihrer Größe mit eigenen Daten eine Risikobewertung
ihrer Patienten betreiben kann.
● Sieht man allerdings vom Mengenanreiz ab, können bei Einzelleistungsvergütung und sektoraler Pauschalierung durchaus
interessante Einsatzmöglichkeiten für P4P darin bestehen, die Koordination der Behandlung und überhaupt die Behandlung
von chronischen Erkrankungen zu verbessern. Man kann den Nachteil chronischer Erkrankungen aus dem nicht-operativen
Bereich, der dadurch entsteht, dass der primäre ökonomische Anreiz bei diesen Vergütungsformen eher auf operativ zu
behandelnde Akuterkrankungen gerichtet ist, versuchen auszugleichen und hätte damit eines der dringensten
Qualitätsprobleme in Deutschland aufgegriffen. Gleiches gilt für auch für andere Themen wie Patientensicherheit (z.B.
Indikatoren zur Einführung und sinnvollen Handhabung von Instrumenten wie CIRS). In den genannten Fällen sind
Prozessindikatoren sinnvoll einzusetzen, die keiner Risikoselektion bedürfen.
● Bei höhergradigen Pauschalen (integrierte transsektorale Versorgung, Erkrankungspauschalen, Managed Care) tritt die
Koordination der Behandlung und die Versorgung von Patienten mit chronischen, multiplen Erkrankungen mehr in den
Vordergrund. Da hier der konkurrierende Mengenanreiz weniger stark ausgeprägt ist, kann man mit einem gezielten Einsatz
von P4P sinnvoll eingreifen und Schwerpunkte in der Qualitätsentwicklung setzen (s. QOF-Projekt in Großbritannien). Auf eine
Risikoselektion ist Rücksicht zu nehmen (s.u.).
● Der Anreiz zur Risikoselektion verhält sich (cum grano salis) spiegelbildlich zum Mengenanreiz. Um so höhergradig die
Pauschalierung ist (bis hin zum Übergang der Versicherungsfunktion auf die Leistungserbringer bei Managed Care), um so
mehr profitieren die Anbieter von der Vermeidung von Patienten mit teuren Erkrankungen bzw. hoher Komorbidität. Man kann
durch die Wahl von Prozessindikatoren und/oder eine adäquate Risikoadjustierung von Ergebnisindikatoren gegensteuern. Die
Risikoadjustierung findet jedoch ihre Grenzen bei Erkrankungen mit geringerer Fallzahl, bei denen es zu einer Benachteiligung
von kleineren Einrichtungen kommt (s. Kap. 1.3.). Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nicht alle Prozessindikatoren von der
Risikoselektion ausgenommen sind (vgl. Mehta et al. 2008). Allerdings sind Erkrankungen und Behandlungen ohne die
Möglichkeit zur Risikoselektion (Unfälle oder Geburten bei Aufnahmezwang, Impfungen) nicht davon betroffen.
● Analog kann man zum Thema Prävention vorgehen. Einen direkten Anreiz für Prävention bietet, abgesehen von Managed
Care, keines der hier diskutierten Vergütungssysteme. Durch einen adäquaten Einsatz von P4P ist es aber grundsätzlich
möglich, den vor allem durch Diskontierungsaspekte gehemmten Einsatz der Prävention (s. Abb. 8, Kap. 3.5.1.) zu fördern,
ohne dabei den Grundanreiz der Vergütung zu verändern.
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5. Integration in bestehende Vergütungssysteme
5.3. Von der transsektoralen zur Populationspauschale
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Abb. 15: Schematische und stark vereinfachende
Darstellung der Vergütungssysteme, für die hier eine
Kombination mit P4P diskutiert wird. Als Kriterien wer-
den der Mengenanreiz, die Förderung der Prävention
sowie der Behandlung chronischer Mehrfacherkrank-
ungen und die Risikoselektion in Betracht gezogen.
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen