► Höhe der monetären Bewertung: Implizit wird in den meisten Überlegungen davon ausgegangen, dass die Anreizwirkung
von P4P unabhängig von der Höhe der Qualitäts-bezogenen Vergütung ist. In einem Review mit 8 randomisierten Studien war
die Höhe des Anreizes nur in 4 Studien überhaupt genannt (Frolich et al. 2007). Über die Kosten, die den beteiligten
Einrichtungen für die Erhebung der Qualitätsdaten (einschließlich Personalkosten) entstehen, hat keine Studie in diesem
Review Angaben gemacht (Frolich et al. 2007). Im HQIP-Program in den USA wurden im ersten Jahr 850 Mill $. bei mehr als
3000 teilnehmenden Krankenhäusern bewegt, danach durchschnittlich 35.000$ pro Jahr pro Haus (Werner et al. 2011). Nimmt
man für ein Krankenhaus einen zusätzlichen Vergütungsbestandteil in dieser Größenordnung an, dann ist es durchaus
denkbar, dass der Messaufwand (Erhebung der Daten, Durchführung von zusätzlichen Untersuchungen, Bereitstellung
entsprechender Strukturen und von Personal etc.) weitaus höhere Kosten verursacht als später als incentive gezahlt werden -
wohlgemerkt, die Kosten fallen sofort an, die Zahlungen (eventuell) in der Zukunft.
Für eine Beurteilung der notwendigen Höhe der Anreizzahlungen müssen außerdem die Opportunitätskosten mit einbezogen
werden, also die Kosten, die dadurch entstehen, dass eine andere Option des Einsatzes dieser finanziellen Aufwendung nicht
realisiert wird (entgangener Erlös) (Frolich et al. 2007). Die Opportunitätskosten sind im Gesundheitswesen sehr für das
zugrundeliegende Vergütungssystem, in das P4P “eingebettet” ist, empfindlich. besonders dann, wenn von ihm ein starker
Mengenanreiz ausgeht (z.B. Einzelleistungsvergütung, DRG). Es ist in diesem Fall äußerst fraglich, ob eine P4P-Vergütung auf
institutioneller Ebene eher realisiert wird als eine zusätzliche Erlöseinheit (zusätzlicher Fall), die evtl. nur mit variablen und evtl.
ohne zusätzliche sprungfixe Kosten zu realisieren ist: “chase the utilization dollars rather than the quality dollars” (s. Damberg
et al. 2009). Erschwerend kommt hinzu, dass die in Frage stehenden Erlöse (Qualitäts- bzw. Leistungs-bezogen)
unterschiedlich diskontiert werden können (Diskontierung betrifft die Abwertung von Erlösen, die erst in Zukunft anfallen,
“lieber 10€ heute als 20€ in einem Jahr” (Damberg et al. 2007)). Wird der Qualitäts-bezogene Erlösbestandteil z.B. erst im
nächsten oder übernächsten Jahr gezahlt (auf der Basis der im laufenden Jahr durchgeführten Erhebung - ein sehr
realistisches Szenario), der durch eine zusätzliche Leistung ausgelöste Erlös dagegen aber sofort, dann wird man sich selbst
dann für die zeitnah zu realisierende Option der Fallsteigerung entscheiden, wenn der Qualitäts-bezogene Erlösbestandteil
etwas höher liegt (Frolich et al. 2007). Die Gesamtsicht der Überlegungen macht es verständlich, dass einige mehr analytisch
unterfütterte Untersuchungen für höhere P4P-Vergütungen plädieren (Chung et al. 2010, Ryan und Blustein 2011, Werner et al.
2011, Werner und Dudley 2012).
Um die Höhe und damit potentielle Anreizwirkung des Qualitäts-bezogenen Erlösanteiles beurteilen zu können, muss man den
Messaufwand berücksichtigen, die Opportunitätskosten einbeziehen und einer eventuellen Diskontierung Rechnung tragen.
An dieser Stelle sei noch angefügt, dass auch die Finanzierungsseite Trade-offs zwischen Risiko und incentives zu beachten
hat, denn die Leistungsanbieter werden ihrerseits höhere Preise verlangen, um das Risiko durch einen schwer
einzuschätzenden Vergütungsbestandteil auszugleichen. So ist auch für die Finanzierungsseite die Betrachtung der Frage
alternativer Verwendungszwecke der P4P-Mittel durchaus von Bedeutung (Prendergast 1999).
► Informationsasymmetrie und die Alternative der Einzelleistungsvergütung: Ohne den Überlegungen zur Integration
von P4P in übergeordnete Vergütungssysteme vorzugreifen (s. unten), soll hier kurz auf Aspekte der principal-agent-Theorie
eingegangen werden, die auf der Informationsasymmetrie zwischen Finanzierer (z.B. Versicherung) und Leistungserbringer
beruht (der Einfachkeit halber wird es bei einem bipolaren System belassen, andere Akteure wie Staat, ständische
Organsisationen etc. werden hier nicht berücksichtigt) (Nicholson et al. 2008, Frolich et al. 2007). Hätten beide Seiten den
gleichen Informationsstand über die Realisierung einer qualitativ hochstehenden Behandlung, wäre es für den Finanzierer die
beste Option, jeden der Bestandteile dieser Behandlung per Einzelleistungsvergütung “zu kaufen”. Dieses
Informationsgleichgewicht liegt jedoch nicht vor, denn die Angehörigen der Gesundheitsberufe und die Organisationen des
Gesundheitswesen verfügen über einen erheblichen Informationsvorsprung vor der Finanzierungsseite, wenngleich etwa durch
Evidence-Based Medicine und durch daraus abgeleitete Leitlinien ein erheblicher Teil des Wissens “säkularisiert” worden ist,
also der Allgemeinheit und somit auch den Finanzierungsseite zur Verfügung steht. In diesem Fall der Informationsasymmetrie
muss sich die Versicherung (principal) darauf verlassen, dass sich der agent, also die Leistungserbringer, in ihrem Sinne
verhält. Erschwerend kommt hinzu, dass der principal dies nicht oder nur sehr schwierig kontrollieren kann.
Anreize wie P4P sind in dieser Situation grundsätzlich durchaus geeignet, den Informationsnachteil ex post auszugleichen, den
die Finanzierungsseite ex ante gegenüber dem Leistungserbringer hat. Wenn sich jedoch die Informationsasymmetrie
abschwächt, verliert P4P den Charakter eines Anreizes und wird zu einer (evtl. zusätzlichen) Zahlung im Sinne einer
leistungsbezogenen (Einzelleistungs-)Vergütung (Werner und Dudley 2012, Wodchis et al. 2007). In diesem Fall wäre zu
erwarten, dass die angereizte Leistung nach Beendigung des P4P-Programmes wieder zurückgeht; genau dies ist in dem mit
viel Geld ausgestattetem, auf distinkte Leistungen zugeschnittenen QOL-Programm in Großbritannien zu beobachten gewesen
(Lester et al. 2010).
Folgende Fälle sind hier zu unterscheiden, die in der gegenwärtigen Diskussion wenig Beachtung finden, obwohl sie als relativ
wirkmächtig angesehen werden müssen:
● die Qualitätsindikatoren, die Gegenstand der P4P sind, wurden bereits vorher durch andere Anreizsysteme (z.B. public
reporting) adressiert. In diesem Fall ist es den Partnern auf beiden Seiten bereits bekannt, “wo der Hund begraben liegt”, und
eine eigentliche (zusätzliche) Anreizwirkung kann nicht mehr erzeugt werden, ganz abgesehen davon, dass durch den ceiling-
Effekt das mögliche Verbesserungspotential schon ausgeschöpft ist (Damberg et al. 2009). Gleiches gilt für den Fall, dass
Indikatoren sehr lange in Gebrauch sind, man muss sich daher an die alte Forderung halten, dass Indikatoren regelmäßig zu
wechseln sind.
● bei den Qualitätsindikatoren handelt es sich um Indikatoren der Strukturqualität, die weitgehend bekannt sind - hier wird
aus P4P ein reiner Investitionszuschuss.
● bei den Qualitätsindikatoren handelt es sich um Prozessindikatoren. Ganz gegen den üblichen Trend ist festzuhalten: um
so mehr EBM, um so weniger sinnvoll ist P4P (Nicholson et al. 2008), denn wenn Prozessindikatoren durch EBM-gestützte
Leitlinien derart vorgegeben sind, dass sie die Qualität der Leistung weitgehend abbilden (aufgehobene
Informationsasymmetrie), ist eine Einzelleistungsvergütung sinnvoller und von der Anreizwirkung her auch effektiver (Damberg
et al. 2007). Um ein Beispiel zu nennen: die Blutkultur vor erster Antibiotika-Gabe bei der ambulant erworbenen Pneumonie
kann man auch direkt vergüten. Solche Indikatoren mit Nähe zur Einzelleistungsvergütung zeigen eine starke Tendenz zur
Vernachlässigung anderer, nicht angereizter Leistungen (teaching to the test) und dazu, nach Beendigung des P4P-
Programms auf das Ursprungsniveau zurückzufallen (Lester 2010). Anders ist es in Situationen, in denen die
Informationsasymmetrie nicht aufgehoben ist, z.B. bei der Behandlung chronischer Erkrankungen. Prozessindikatoren z.B. zur
Koordination wie Vollständigkeit der Informationsweitergabe sind sinnvoll, denn das Geschehen “dahinter” ist für die
Finanzierungsseite nicht zu durchblicken, und sie dienen im Übrigen strategischen Zielen (s.u.). Ähnlich verhält es sich mit
einem Indikator wie der Zahl der bearbeiteten Meldungen eines CIRS (Critical Incident Reporting System), der Benefit ist
(wenn man den Indikator stichprobenartig kontrolliert) gegeben, die Informationsasymmetrie ist gewahrt.
● bei den Qualitätsindikatoren handelt es sich um Ergebnisindikatoren. Hier ist es kaum möglich, die Informationsasymmetrie
aufzuheben, selbst bei einfachen Elektivleistungen ist es der Finanzierungsseite nicht bekannt, wie das optimale Ergebnis
zustandekommt. Das Problem liegt hier jedoch beim starken Anreiz zu einer Risikoselektion, die einerseits schwer durch
Risikoadjustierung zu neutralisieren ist, und andererseits kleine Einrichtungen systematisch benachteiligt (Nicholson et al.
2008).
In der Konsequenz: P4P nur mit “frischen” Prozessindikatoren in komplexen Situationen mit aufrechterhaltener
Informationsasymmetrie sinnvoll, die regelmäßig geändert werden.
Weiter: 4. Ökonomie, 4.3. Behavioural Economics
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4. Ökonomie
4.2. Höhe der monetären Bewertung, Informationsasymmetrie
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen