Die vorliegende Arbeit geht von der Darstellung der bisherigen wissenschaftlichen Evaluationsstudien zu Pay for Performance
(P4P) bzw. zur Qualitäts-orientierten Vergütung aus. Trotz der Tatsache, dass die vorliegenden Evaluationsergebnisse zwar
eine gewisse Wirksamkeit von P4P, aber keine durchlagenden Ergebnisse zeigen, sind in den USA (Value-Based Purchasing-
Programm (VBP)) und in Großbritannien (Quality and Outcome Framework (QOF)) Elemente der Qualitäts-orientierten
Vergütung im Gesundheitswesen eingeführt worden. Diese Programme verfolgen einen langfristigen und umfassenden Ansatz.
Ebenso wie im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom November 2013 als politischer Wille erkennbar, wurde in diesen
Ländern ein als paradigmatisch zu bezeichnender Wandel eingeleitet, der das Ziel hat, statt der Leistungsmenge verstärkt die
Qualität der Leistung zu vergüten.
Um einen Hintergrund für die weitergehende Analyse der wissenschaftlichen Daten und für die Weiterentwicklung von P4P zu
schaffen, wird in dieser Arbeit ein Rahmenkonzept entwickelt, das die Ableitung von Empfehlungen für die Einführung und
Umsetzung von P4P auch im Kontext des deutschen Gesundheitswesens erlaubt. Dieses Rahmenkonzept wird über mehrere
Stufen entwickelt und enthält Bezüge zum organisationstheoretischen Konzept der Expertenorganisation und zur
Komplexitätstheorie, untersucht die Implikationen aus den grundlegenden Modellen der Verhaltensänderung mit Schwerpunkt
soziale Rollen, organisatorischer Wandel und Lernen im Kontext, bezieht ökonomische Aspekte (principal agent-Theorie,
Verhaltensökonomie) sowie die Wechselwirkungen mit anderen Vergütungssystemen mit ein und schließt mit einer
Einschätzung der gesundheitspolitischen Optionen ab, die sich in einem komplexen System wie dem Gesundheitswesen mit
seiner korporatistischen Struktur eröffnen.
Zu Beginn wird der Begriff Pay for Performance (P4P) bzw. Qualitäts-orientierte Vergütung (Endpunkt Qualität) unter
Einbeziehung des verwandten Value-Based Purchasing (Endpunkt Effizienz) untersucht und verfeinert. P4P ist ein Feedback-
Verfahren, das Wettbewerbselemente einsetzt, um Qualitätsdefizite in Gesundheitsversorgung und Prävention günstig zu
beeinflussen. Es ist aus zwei Systematiken zusammengesetzt und basiert auf (1) einer Qualitätsmessung durch definierte
Indikatoren und (2) einer nachvollziehbaren Kopplung der Qualität oder Effizienz (value) der Versorgung an
Vergütungsbestandteile. P4P wird in der Regel nicht als einziges, alleinstehendes Vergütungssystem, sondern integriert in
andere Vergütungssysteme (z.B. DRG-System) eingesetzt. Es gehört zu den Instrumenten des sog. Qualitätswettbewerbes und
setzt direkte finanzielle Anreize ein, während public reporting (s. Qualitätssicherung nach §137 SGB V) seine Wirkung über
indirekte finanzielle Anreize (Marktvorteil wegen besserer Qualität) erzielt.
Die Entwicklung in den USA ist vom Krankenhausbereich ausgegangen (Premier Hospital Quality Incentive Demonstration
Project (HQIP)), in Großbritannien stand von Anfang an die ambulante Versorgung im Mittelpunkt. Seit 1.10.2013 ist die
Teilnahme aller Krankenhäuser in den USA verpflichtend, die Medicare-Patienten behandeln. Bis 2017 wird der Anteil des
Erlöses, der über Qualitätsindikatoren verteilt wird, auf 2% des Gesamterlöses ansteigen. Als Indikatoren, die fünf ausgewählte
Krankheitsbilder betreffen, werden Prozessindikatoren, Patienten-Erfahrungen, Patientensicherheitsindikatoren, Hospital-
Acquired Conditions und in ausgewählten Fällen risikoadjustierte Ergebnisindikatoren eingesetzt. Im ersten Jahr wurden nur
Prozessindikatoren und solche auf der Basis von Patienten-Erfahrungen (im Verhältnis von 70 zu 30%) verwendet, ab dem 2.
Jahr (2014) werden die 5 Gruppen je 20% gewichtet. Auch im Quality and Outcome Framework (QOF) in Großbritannien
stehen Prozessindikatoren im Vordergrund, die entsprechend des Einsatzes im ambulanten Sektor konsequent auf die
Behandlung und Prävention chronischer Erkrankungen ausgerichtet sind. In beiden Ländern sind die jetzigen Programme das
Ergebnis einer rund 15jährigen Entwicklung weitgehender Konzeptionen, die jeweils das gesamte Gesundheitssystem teilweise
auch unter Einbeziehung des Public Health-Bereichs umfassen. In den USA hat diese Konzeption eine stringente system- bzw.
komplexitätstheoretische Ausrichtung und wurde vom Institute of Medicine in “Crossing the Quality Chasm” im Jahr 2001
veröffentlicht.
In der hier vorliegenden Arbeit wird diese komplexitätstheoretische Ausrichtung aufgenommen und um das Konzept der
Expertenorganisation (professional bureaucracy) ergänzt, das im Jahr 1979 erstmalig von Mintzberg vorgestellt worden war.
Obwohl die Konzepte im ersten Fall einen systemischen, im zweiten Fall einen organisatorischen Fokus aufweisen, ergänzen
sie sich in weiten Bereichen hervorragend, insbesondere durch die Tendenz zur Selbstorganisation, das hohe Maß der
Autonomie ihrer Mitglieder und die Verdecktheit der gleichwohl vorhandenen internen Regeln. Besonders ergibt die Analyse
jedoch Übereinstimmungen im Bereich der Innovation und im Umgang mit Unsicherheit. Beide Konzepte weisen einerseits eine
hohe Innovationsbereitschaft auf, sind andererseits in ihrer Reaktion auf die Umwelt jedoch verhalten und meiden daraus
resultierende Innovationsansätze (“Innovations-Paradoxon”). Noch entscheidender für den Bereich Qualität und
PatientensIcherheit ist aber die Beobachtung, dass beide Konzepte eine weitgehende Toleranz von Unsicherheit aufweisen
(“intrinsische Unsicherheit”). Die Expertenorganisation erreicht Koordination über Standardisierung in der Ausbildung und durch
den Einsatz von peers, die Ärzte im Nachtdienst sind jedoch allein und müssen “durchkommen”. Das komplexe System weist
Unsicherheit, Spannung und Paradoxie sogar als konstituierendes Element seiner Struktur aus. Die Toleranz gegenüber
Unsicherheit ist einerseits gewiss ein Vorteil, denn sie schützt vor voreiliger Festlegung und irreführender Linearität,
andererseits weist sie durch die Innovationsresistenz gegenüber Umweltreizen und somit auch externen Qualitätserwartungen
schwerwiegende Defizite auf. Um in der vorliegenden Arbeit diese Synergien beider Konzepte kenntlich zu machen, wird der
Arbeitsbegriff “komplexe professionelle Systembürokratie” verwendet.
Von P4P wird erwartet, dass es eine Verhaltenveränderung bewirkt, die aufseiten der Leistungserbringer und
Gesundheitsberufe in einer Verbesserung der Versorgungsqualität resultiert. P4P ist ein Feedback-Verfahren, das einen
externen finanziellen Anreiz setzt und den lerntheoretischen Konzepten zuzurechnen ist. Folgt man dem Maslow’schen
Konzept, setzt P4P an sehr basalen Bedürfnissen an, eine Veränderung sozialer Rollen oder gar Wertschätzung wird nicht
angesprochen. Allerdings hat es in den letzten Jahrzehnten mehrere Versuche gegeben, mit Modellen der sozialen
Wahrnehmung, die über den individuellen Ansatz der lerntheoretischen Konzept hinausgehen und z.B. Haltungen und
Einstellungen thematisieren, die Veränderungsresistenz des Gesundheitswesens zu überwinden. In diesem Zusammenhang
wurde auch auf das Konzept des Professionalismus gesetzt, das interne Motivation, Altruismus und Autonomie in den
Mittelpunkt stellt; es existieren hier Parallelen zur Diskussion z.B. um die Einführung von Leitlinien oder der Evidence-based
Medicine. Zusammenfassend muss man jedoch festhalten, dass aus diesen Ansätzen keine Konzeption entwickelt werden
konnte, die tragfähige Lösungen für die virulenten Probleme bietet. Der Grund ist darin zu suchen, dass diese Ansätze zu kurz
greifen, die Einbeziehung von Konzepten des organisatorischen Wandels und des Kontext-bezogenen Lernens (soziales
Marketing) ist notwendig. Das Rahmenkonzept beinhaltet folglich ein eindeutiges Plädoyer für ein Organisations- und Kontext-
bezogenes Vorgehen bei der Einführung von Innovationen wie P4P im Gesundheitswesen, die auch einer politischen
Steuerung (direction pointing, s.u.) und eines langfristigen commitment der beteiligten Akteure bedürfen.
Dieser Ansatz führt zu ökonomischen Festlegungen, ohne die P4P nicht erfolgsversprechend einzuführen ist. Bei den
Überlegungen zur Höhe der P4P-Vergütung müssen Opportunitätskosten und Diskontierung mit einbezogen werden,
insbesondere wenn man eine Risikoaversion der Leistungserbringer und gegebenenfalls die Unsicherheit einer Zahlung mit
berücksichtigt. Letztere ist vor allem relevant, wenn man die Zahlung an eine relative Position in einer Rankingliste (”die besten
fünf”) koppelt, weil die einzelnen Einrichtungen erst spät einschätzen können, ob sich ihre Investition in Qualität über die P4P-
Vergütung “auszahlt”. Gestaffelte absolute Grenzwerte und die Vergütung relativer Positionsverbesserungen sind daher
vorzuziehen. Die principal agent - Theorie verweist auf die notwendige Abgrenzung von P4P und der Einzelleistungsvergütung,
letztere ist vorzuziehen, wenn die Informationsasymmetrie Qualitäts-relevanter Leistungen z.B durch EBM aufgehoben ist (z.B.
Blutkultur vor Antibiotika-Gabe bei der Pneumonie). P4P sollte auf Bereiche beschränkt werden, bei denen die
Leistungserbringer einen deutlichen Wissensvorsprung bzgl. des Zustandekommens der Versorgung aufweisen können, z.B. in
der Behandlung von chronischen Erkrankungen. Die Einbeziehung der Erkenntnisse der behavioural economics
(Verhaltensökonomie) mit ihren Elementen framing, isolation effect und Überschätzung relativer Risiken erbringt schon erste
Empfehlungen für das weitere Vorgehen. Neben der oben bereits genannten Risikoaversion (Zeitnähe, Verlässlichkeit und
Nachvollziehbarkeit der Zahlungen) sind kleinere, häufigere Zahlungen mit on/off-Charakteristik wirkungsvoller als größere aber
nur selten gezahlte Summen (z.B. im Rahmen des Gesamterlöses eines Krankenhauses), die Einbehaltung von
Vergütungsbestandteilen der stärkere Anreiz als die zusätzliche Vergütung (Verlust-Aversion), die Indikatoren sollten
“unverbraucht” sein und nicht schon vorher Gegenstand anderer Systeme (z.B. Public Reporting) gewesen sein, weil dann kein
weiterer Effekt mehr auftritt (ceiling), und ein P4P-Programm sollte nicht gleichzeitig mit mehreren anderen Regelungen
eingesetzt werden (isolation effect). Insbesondere bei Ergebnisindikatoren muss die Risikoadjustierung optimal gestaltet
werden, weil sich ansonsten bei Erkrankungen mit niedriger Inzidenz vor allem kleinere Einrichtungen wegen des Morbiditäts-
und Komorbiditätsrisikos nicht an dem P4P-Programm beteiligen bzw. alternativ Risikoselektion betreiben. Daher sind
Prozessindikatoren, die keiner Risikoadjustierung bedürfen, zu präferieren, evtl. ergänzt durch einige Ergebnis- (z.B. adjustierte
Mortalität) und Strukturindikatoren.
Da - wie bereits angemerkt - P4P grundsätzlich in bestehende Vergütungssysteme (z.B. DRG) “eingebettet” wird, sind die
Wechselwirkungen mit diesen Systemen von großer Bedeutung für dessen Wirkung. Das deutsche Gesundheitssystem ist sehr
Mengen-orientiert, stark sektoral gegliedert, wenig auf Prävention ausgerichtet und vor allem fokussiert auf Akuterkrankungen
statt auf chronische und Mehrfacherkrankungen. Beabsichtigt man nun, durch P4P dem Mengenanreiz einen Qualitäts-Anreiz
entgegenzusetzen (”Qualität statt Menge”), dann ist dies gerade bei den Vergütungssystemen mit dem größten Mengenanreiz
(Einzelleistungsvergütung und DRG) besonders schwierig, weil dort die Opportunitätskosten am höchsten sind (”ein Fall geht
noch”). Es besteht sogar die Gefahr, dass bei Einzelleistungsvergütung und sektoralen Pauschalen der Mengenanreiz durch
P4P verstärkt wird, und zwar wenn folgende Bedingungen zusammentreffen: (1) es handelt sich um Leistungen, bei denen die
Möglichkeit zur Mengenausweitung besteht (z.B. Endoprothetik), (2) es werden Indikatoren mit geringer Sensitivität bzgl der
Qualitätsprobleme verwendet, wie es bei Indikatoren auf der Basis administrativer Daten der Fall ist, (3) mit den resultierenden
Qualitätsdaten wird eine Mengenausweitung begründet und in den Verhandlungen mit den Kostenträgern durchgesetzt, und
eventuell wird zusätzlich (4) eine aktive Risikoselektion betrieben, weil die Einrichtung aufgrund ihrer Größe mit eigenen Daten
eine Risikobewertung ihrer Patienten betreiben kann.
Sieht man allerdings vom Mengenanreiz ab, können bei Einzelleistungsvergütung und sektoraler Pauschalierung durchaus
interessante Einsatzmöglichkeiten für P4P darin bestehen, die Koordination der Behandlung und überhaupt die Behandlung
von chronischen Erkrankungen zu verbessern. Man kann den Nachteil chronischer Erkrankungen aus dem nicht-operativen
Bereich, der dadurch entsteht, dass der primäre ökonomische Anreiz bei diesen Vergütungsformen eher auf operativ zu
behandelnde Akuterkrankungen gerichtet ist, versuchen auszugleichen und hätte damit eines der dringensten
Qualitätsprobleme in Deutschland aufgegriffen. Gleiches gilt für auch für andere Themen wie Patientensicherheit (z.B.
Indikatoren zur Einführung und sinnvollen Handhabung von Instrumenten wie CIRS). In den genannten Fällen sind
Prozessindikatoren sinnvoll einzusetzen, die keiner Risikoselektion bedürfen. In Kombination mit höhergradig pauschalierenden
Vergütungssystemen (integrierte transsektorale Versorgung, Erkrankungspauschalen, Managed Care), die mehr Gewicht auf
die Koordination der Behandlung und die Versorgung von Patienten mit chronischen, multiplen Erkrankungen legen, kann man
mit einem gezielten Einsatz von P4P sinnvoll eingreifen und Schwerpunkte in der Qualitätsentwicklung setzen (s. QOF-Projekt
in Großbritannien). Gegen den Anreiz zur Risikoselektion kann man durch die Wahl von Prozessindikatoren und/oder eine
adäquate Risikoadjustierung von Ergebnisindikatoren gegensteuern. Die Risikoadjustierung findet jedoch ihre Grenzen bei
Erkrankungen mit geringerer Fallzahl, bei denen es zu einer Benachteiligung von kleineren Einrichtungen kommt. Ähnlich es es
durch einen adäquaten Einsatz von P4P grundsätzlich möglich, den vor allem durch Diskontierungsaspekte gehemmten
Einsatz der Prävention zu fördern, ohne dabei den Grundanreiz der jeweiligen Vergütung zu verändern.
Das Rahmenkonzept wird abgerundet durch die politische Ebene. Expertenorganisation und Komplexitätstheorie weisen den
Institutionen und den professionellen Strukturen der Selbstorganisation eine wichtige Rolle zu, gerade die korporatistischen
Strukturen der Selbstorganisation, in Deutschland unter dem Begriff der Selbstverwaltung zusammengefasst, sind in den
letzten beiden Jahrzehnten immer wichtiger geworden, parallel zur Wandel des politischen Grundverständnisses weg von
einem hierarchischen Modell zu Konzepten wie dem Governance-Konzept. Dieser Wandel ist durchaus als funktional zu
bezeichnen, entspricht er doch auf der organisatorischen Ebene der Expertenautonomie, auf der Systemebene der Komplexität
des Gesundheitssystems, in Bezug auf die notwendige Verhaltensänderung den Kontext-bezogenen Theorien und hinsichtlich
der ökonomischen Grundannahmen den verhaltensökonomischen Erkenntnissen. Es werden jedoch vier Punkte
herausgearbeitet, in denen es keine Alternative zur Übernahme der Verantwortung durch die politische Ebene gibt: die Richtung
muss vorgegeben werden (direction pointing ist als Begriff in “Crossing the Quality Chasm” eingeführt worden), strategische
Ziele müssen gesetzt werden, weil die Auswahl der Indikatoren weder zufällig noch aus Opportunität erfolgen darf, potentielle
negative Auswirkungen müssen kontrolliert werden, und es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den
Hintergrund für die Initiierung des politischen Prozesses, für die Implementierung, die Umsetzung und die Evaluation bilden.
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Seite
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Zusammenfassung
1. Aktualität und Rahmenkonzept
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Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen