Abb. 8
Bereits in der ersten Annäherung wird klar, dass auf dem Hintergrund der hier so bezeichneten “komplexen professionellen
Systembürokratie” i.S. einer Synthese von Expertenorganisation und komplexem System externe Anforderungen an Qualität
und Sicherheit nur schwer umsetzbar sind. In der Expertenorganisation werden diese als “management-behavior” abgelehnt
und an die (schwache) Managementebene delegiert. Im komplexen System ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass solche
Anforderungen “verschluckt” werden, dass sie also nur selten zu den erwarteten Auswirkungen führen. Beide Systeme
können zwar einerseits mit Spannungen, Paradoxien und Unsicherheit umgehen, lassen andererseits solche aber auch zu,
sie neigen zur “intrinsischen Unsicherheit” (s.o.). In dieser Situation haben Verhalten und Verhaltensänderung von Individuen
und Gruppen eine besondere Bedeutung, denn es wird offensichtlich von beiden die Übernahme erheblicher Verantwortung
erwartet. Dies gilt natürlich auch im Hinblick auf die Einführung bzw. Umsetzung einer Intervention wie P4P. Daher werden im
nächsten Schritt die wichtigsten Theorien zur Verhaltensänderung dargestellt und als Hintergrund eines konzeptionellen
Rahmens diskutiert.
Zur Systematik werden vier Modelle der Verhaltensänderung unterschieden (s. z.B. Anonymous 1999, Grol und Grimshaw
2003, Shojania und Grimshaw 2005):
● Lerntheoretische Modelle
● Soziale Wahrnehmung
● Organisatorischer Wandel
● Lernen durch Kontext.
► Die lerntheoretischen Modelle umfassen in der ersten Linie
Motivation, Feedback und Belohnung. Motivation als Voraussetzung
zielorientierten Handelns wird nach der Bedürfnistheorie von
Maslow (zit. n. Staehle 1999, S. 170, 218ff) in die sog. Defizit-Motive
und die Wachstums-Motive unterteilt (s. Kasten), weiterhin
differenziert man interne Motivation (z.B. Einstellungen, s. unten)
und externe Motivation (z.B. Belohnungssysteme). Voraussetzung
für eine internen Motivation ist die gleiche Ausrichtung von
Handlungsziel und Handeln. Externe Motivation kann die interne Motivation schwächen (sog. Untergrabungswirkung;
Berenson et al. 2013), dies ist aber nicht zwangsläufig so; eine externe Motivation kann durch Übung dazu führen, dass die
interne Motivation überhaupt erst aktiviert wird.
Der Feedback-Mechanismus, und bei P4P handelt es um einen solchen, ist ein zentraler Mechanismus des Lernens, seine
Wirksamkeit ist jedoch von einer Reihe methodischer Voraussetzungen abhängig. So muss ein Feedback an den
verantwortlichen Handelnden adressiert sein, es muss als solches
interpretiert werden, es muss auf einem erreichbaren Auslöser
beruhen, es darf nicht mit anderen Feedback-Systemen kollidieren,
es muss zeitnah sein und der Aufwand zur Erlangung des
Feedbacks darf nicht als zu hoch empfunden werden.
Am Beispiel der Prävention (und hierzu gehören ja auch
Maßnahmen zur Verbesserung von Qualität und Sicherheit) lässt
sich im Vergleich zu akutmedizinischen Maßnahmen (z.B. neue
Operationsmethode, neues Gerät) die Bedeutung des Zeitfaktors gut
verdeutlichen (Cook et al. 2004). Der Aufwand für die Präventions-
bzw. akutmedizinische Maßnahme wird bei Letzterer zeitnah
gemindert durch die eintretende Wirksamkeit (”Ertrag”), negative
unerwünschte Folgen treten dagegen erst spät ein, können oft nicht
mehr zugerechnet werden und sind u.U. sogar nur statistisch nachweisbar. Bei den präventiven Maßnahmen (z.B.
perioperative Antibiotikaprophylaxe) sind die evtl. auftretenden negativen Folgen (z.B. Allergie) sofort spürbar und vergrößern
den Aufwand, während die Wirksamkeit (Verhinderung von postoperativen Wundinfektionen) erst bei hoher Patientenzahl
und in Zukunft auftritt, oft wegen der statistischen Effekte für den Handelnden gar nicht erfahrbar. Finanzielle Anreize wie P4P
können diesen strukturellen Nachteil der Präventionsmaßnahmen eventuell ausgleichen.
Belohnungssysteme verstärken den Feedback (so z.B. bei P4P) und können soziale (z.B. Anerkennung) sowie materielle
Gratifikationen beinhalten. Die externe Belohnung muss sowohl hinsichtlich des primären Aufwandes für den Handelnden
(z.B. für Verhaltensänderung, Bereitstellung der Daten) als auch gegenüber der internen Rückkopplung (z.B. Wertschätzung
von Kollegen, Patienten) in einem akzeptablen
Verhältnis stehen. Wenn der primäre Aufwand zu
hoch ist, oder wenn durch die Verhaltensänderung
zwar die externe Belohnung erlangt wird, die interne
Anerkennung aber vermindert wird, ist das
Belohnungssystem nicht wirksam. Veränderungen im
sozialen Kontext sind notwendig (s.u).
Feedback-Systeme (mit oder ohne Belohnung)
haben den Nachteil, dass sie sehr häufig auf
“niedrigen” Ebenen der Maslow’schen
Bedürfnispyramide ansetzen und als externe
Motivatoren mit der internen Motivation im
Widerspruch stehen können (einen
Freundschaftsdienst soll man nicht versuchen zu
bezahlen). Sie wirken daher besser, wenn
zusätzliche Interventionen auf der Ebene der
Wertschätzung und zur Steigerung der
Selbstverwirklichung eingesetzt werden.
Im geschäftlichen Kontext gibt es mit Belohnungssystemen reichhaltige Erfahrungen durch die variable leistungsabhängige
Vergütung (s. Kasten), die allerdings nicht direkt auf P4P übertragbar sind, weil sie sich auf den innerinstitutionellen Rahmen
beziehen. Man erkennt jedoch hier bereits, dass es neben allgemeinen Faktoren (z.B. bezieht sich die individuelle Leistung
auf das Ziel?) vor allem Eigenschaften des Mitarbeiters (z.B. ist er überhaupt in der Lage, das Ziel zu erreichen?) und der
Organisation (z.B. Gesprächskultur) sind, die bedacht werden müssen, bevor man das Instrument der Zielvereinbarungen
einsetzt (Lebrenz 2013, Prendergast 1999).
Weiter: 3. Motivation ..., 3.5. Verhaltensänderung, 3.5.2. Soziale Wahrnehmung
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Kapitel
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3. Motivation, Organisation, System
3.5. Verhaltensänderung in der “komplexen professionellen Systembürokratie”
3.5.1. Einführung, lerntheoretische Modelle
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Tableau 27: Umsetzung der variablen, leistungsbezogenen Vergütung
bei Führungskräften (vgl. Lebrenz 2013)
► Übergeordnete, allgemeine Faktoren
● SInd die Ziele planbar und für den Mitarbeiter/die Gruppe umsetzbar?
● Besteht ein Zusammenhang zwischen Leistung und Zielerreichung?
● Sind die Ziele zuverlässig quantifizierbar, kein gaming?
● Ist die Motivation und das Ziel adäquat?
● Werden andere Motivatoren negativ beeinflusst?
► Mitarbeiter
● Hat der Mitarbeiter genügend Erfahrung und Freiräume, um ein Ziel
durch eigene Leistung erreichen zu können?
● Ist eine Mehr an Selbstbestimmung vom Mitarbeiter gewollt?
● Hat der Marbeiter ausreichend Kompetenzen und Ressourcen, um die
Ziele zu erreichen?
● Ist der finanzielle Anreiz für Motivationsänderung hoch genug?
► Organisation
● Existiert eine offene Gesprächskultur, die Zielvereinbarung zulässt?
● Ist der Mitarbeiter fähig zu einem Zielvereinbarungsgespräch?
● Steht die Leistungssteigerung in einem vernünftigen Verhältnis zum
Aufwand der Vergütung (Verhandlungen, finanzielle Mittel etc.)?
Tableau 26: Bedürfnistheorie nach Maslow (zit. n. Staehle
1999, S. 170)
► Defizit-Motive
● Physiologische Bedürfnisse (z.B. Hunger)
● Sicherheitsbedürfnisse (z.B. finanzielles Auskommen)
● Soziale Bedürfnisse
► Wachstums-Motive
● Wertschätzung
● Selbstverwirklichung
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen