Selbst wenn P4P als perfektes, “erweitertes” Feedback verstanden wird, so wie in den vorangehenden Kapiteln dargestellt,
kann dieses Instrument im isolierten Einsatz keine grundlegenden Umkehrungen bestehender Anreize im Gesundheitswesen
bewirken, sondern bedarf, so wie in Kap. 4 ausführlich dargestellt, zusätzlicher ökonomischer (und außerdem politischer)
Weichenstellungen. Diese Weichenstellungen betreffen neben einfachen ökonomischen Überlegungen (z.B.
Opportunitätskosten) vor allem Konsequenzen aus der principal agent Theorie (Informationsasymmetrie) und der
Verhaltensökonomie (z.B. Risikoaversion) sowie Wechselwirkungen von P4P mit dem dominierenden Vergütungssystem, denn
man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass P4P-Elemente in ein anderes Vergütungssystem (z.B. DRG) integriert werden
(s. Tableau 37).
Ganz im Vordergrund stehen Fragen der Informationsasymmetrie, die für das
Konzept von P4P als durchaus kritisch anzusehen sind und die Berechtigung des
P4P-Ansatzes in Abgrenzung von der Einzelleistungsvergütung potentiell in
Frage stellen: “Is P4P really Fee for Service?” (Wodchis et al. 2007).
Behandlungsverfahren und Qualitätsaspekte, die sich allseitiger Kenntnis
erfreuen und (z.B. durch Evidence-Based Medicine) abgesichert sind, bedürfen
keiner Pay for Performance, sondern können direkt durch die Finanzierungsseite
vergütet werden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der
Abwägung zwischen Prozess- und Ergebnisindikatoren sowie, weitergehend, der
Auswahl derjenigen Prozessindikatoren zu, die der strategischen Zielsetzung des
P4P-Programmes adäquat sind.
Im weiteren zeigt die Verhaltensökonomie, dass es ohne zutreffende Annahmen
zur Risiko- oder Verlustaversion kaum möglich ist, durch P4P eine sinnvolle
Anreizbildung zu erzeugen; wohlgemerkt: einen Anreiz erzielt man immer, aber es
ist in diesem Zusammenhang ja entscheidend, dass dieser in der Kombination mit
den anderen Anreizen, die im System wirksam sind, in vernünftiger Form die Schwächen des Systems mindert und die Stärken
stärkt. Dies führt zur Frage der Integration von P4P in das zugrundeliegende Vergütungssystem und zu den
Wechselwirkungen mit dem dominierenden Vergütungssystemen, denn P4P wird nie der alleinige, dominierende
Vergütungsansatz sein (s. Kap. 5). So ist es sicher nicht möglich, mit P4P ein eng sektoral begrenztes, mit hochtouriger
Volumenexpansion einhergehendes Vergütungssystem wie das des klassischen DRG-Systemes zu beherrschen - hier ist eine
grundsätzliche Weiterentwicklung notwendig. Aber vielleicht kann P4P den Fokus leicht verschieben, z.B. weg von den
Akuterkrankungen und operativen Behandlungsmethoden hin zur kontinuierlichen Therapie der schon jetzt und in Zukunft noch
mehr dominierenden chronischen, multiplen Erkrankungen einer alternden Bevölkerung - und zur Prävention.
Zu folgenden Aspekten wird auf dieser Basis hier Stellung genommen:
● Höhe der P4P-Vergütung einschl. Opportunitätskosten und Diskontierung (vgl. Kap. 4.2.)
● Frequenz, Stückelung und Zahlungsmodus (vgl. Kap. 4.2.)
● Monetäre Kopplung (vgl. Kap. 4.2.)
● Informationsasymmetrie und principal-agent Theorie (vgl. Kap. 4.2.)
● Aktualität und Wechsel der Indikatoren
● Wettbewerbsdichte und dual use (vgl. Kap. 4.3.)
● Verhaltensökonomie - framing (vgl. Kap. 4.3.)
● Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit
● Integration in Vergütungssysteme (vgl. Kap. 5.)
► Zur Höhe der P4P-Vergütung fällt schnell ins Auge, dass in den bislang evaluierten Programmen besonders im
Krankenhaus (HQIP in den USA) die zusätzlich ausgeschütteten Mittel mit weniger als 50.000.- € pro Jahr eher im niedrigen
Bereich liegen, wenn man sie mit den Gesamtvergütungen vergleicht (Werner et al. 2011B). Im QOF-Programm in
Großbritannien handelt es sich um die gleiche Größenordnung, allerdings auf der Ebene einer Arztpraxis (Roland 2004, Gillem
et al. 2012). Die Höhe der P4P-Vergütung stellt bei Einführung von P4P eine der meist diskutierten Fragen dar und muss daher
schlüssig beantwortet werden. Man darf sich dabei nicht nur auf die Aufwendungen bzgl. des Messaufwandes (z.B. Erhebung
der Daten, Bereitstellung von Personal), die der dokumentierenden Einrichtung entstehen, beschränken, sondern man muss
die Opportunitätskosten mit einbeziehen, die die entgangenen Erlösmöglichkeiten bei alternativer Verwendung der Mittel
wiedergeben. Die Opportunitätskosten sind im Gesundheitswesen sehr für das zugrundeliegende Vergütungssystem, in das
P4P “eingebettet” ist, empfindlich, besonders wenn von diesem ein starker Mengenanreiz ausgeht (z.B.
Einzelleistungsvergütung, DRG) und die Grenzkosten niedrig sind. Es ist in diesem Fall wahrscheinlich, dass eine zusätzliche
Erlöseinheit (zusätzlicher Fall), die evtl. nur mit variablen und ohne zusätzliche sprungfixe Kosten zu realisieren ist, einer P4P-
Vergütung vorgezogen wird (Damberg et al. 2009). Hinzu kommt die Diskontierung des Qualitäts-bezogenen
Erlösbestandteiles (Frolich et al. 2007). Die Mehrzahl der Analysen plädiert daher für höhere P4P-Vergütungen (Chung et al.
2010, Ryan und Blustein 2011, Werner et al. 2011B, Werner und Dudley 2012).
Empfehlung 18: Höhe der P4P-Zahlungen muss besonders im DRG-System Opportunitätskosten berücksichtigen
Die Höhe des Qualitäts-bezogenen Erlösanteiles muss den Messaufwand, die Opportunitätskosten und die Diskontierung
berücksichtigen und hängt daher stark von der Art des dominierenden Vergütungssystems ab. Bei Einzelleistungsvergütung
und DRGs sind hohe Opportunitätskosten anzusetzen, die Höhe der P4P-Vergütung muss entsprechend hoch angesetzt
werden.
► Frequenz, Stückelung und Zahlungsmodus: Ein intakter Feedback-Mechanismus vorausgesetzt (s. Kap. 7.4.), bei dem
die Zahlungen zeitnahe erfolgen (s. Empfehlung 11), kann der Feedback noch verbessert werden, wenn die sog.
Überschätzung relativer Risiken berücksichtigt wird, ein Phänomen, das in der Verhaltensökonomie beschrieben ist (s. Kap.
4.3., s. Damberg et al. 2007 und Verma et al. 2014). Häufigere und dafür kleinere Zahlungen mit on/off-Charakteristik sind
wirksamer als Zahlungen, die intergriert in andere, umfangreichere Zahlungen (z.B. Gesamterlös) erfolgen, insbesondere wenn
sie Ereignis-bezogen vorgenommen werden.
Empfehlung 19: Kleine und häufigere Zahlungen sind zu präferieren
Kleine, häufigere und Ereignis-bezogene P4P-Zahlungen mit on/off-Charakteristik sind größeren integrierten Zahlungen
vorzuziehen.
► Monetäre Kopplung: Eine P4P-Vergütung besteht aus zwei Bestandteilen, einem System der Qualitätsmessung und einem
System der monetären Bewertung (s. Kap. 4.1.). Die Kopplung der Vergütungsbestandteile an die Qualitätsindikatoren muss
praktikabel (administrabel), nachvollziehbar (verständlich), justiziabel und von seinen Anreizwirkungen sinnvoll gestaltet
werden. Das inhaltliche Hauptproblem der monetären Kopplung besteht aber darin, dass sich die Verbesserung nicht nur bei
den Einrichtungen manifestieren sollte, die schon vorher zu den Besten gehörten, während sich der Abstand zu den poor
performer weiter vergrößert (s. z.B. HQIP-Programm, Lindenauer et al. 2007). Diese Gefahr besteht vor allem bei der
Verwendung von relativen Positionen auf Rankinglisten (”die besten 5”). Die sog. poor performer, evtl. sogar die Mehrheit der
teilnehmenden Institutionen, können verloren gehen, weil sie kaum Chancen sehen, das Ziel zu erreichen (sog. goal gradient).
Absolute Grenzwerte können Abhilfe schaffen, aber auch nur dann, wenn sie gestaffelt eingesetzt werden, so dass die
Grenzwerte auch durch die poor performer erreicht werden können. Keinesfalls kann aber auf die Honorierung relativer
Verbesserungen (”von Position A auf Position B um X Plätze”) verzichtet werden. Die drei Kopplungsmechanismen (s. Abb. 11)
sollten daher immer in Kombination eingesetzt werden.
Empfehlung 20: Relative Position, relative Verbesserungen und absolute Grenzwerte kombinieren
Die monetäre Kopplung der P4P-Vergütung kann nicht alleine aufgrund der relativen Position auf einer Rankingliste
vorgenommen werden, sondern muss ebenso gestaffelte Grenzwerte und relative Positionsverbesserungen mit einbeziehen,
damit auch die poor performer einen realistischen Anreiz zur Qualitätsverbesserung haben.
► Informationsasymmetrie und principal-agent Theorie: Obwohl Anreize wie P4P grundsätzlich dazu geeignet sind, den
Informationsnachteil ex post auszugleichen, den die Finanzierungsseite ex ante gegenüber dem Leistungserbringer hat, verliert
P4P den Charakter eines Anreizes, wenn sich bei gut abgesicherten Leistungen die Informationsasymmetrie abschwächt, und
mutiert damit zu einer zusätzlichen Zahlung im Sinne der Einzelleistungsvergütung (Werner und Dudley 2012, Wodchis et al.
2007). Dies hat zwei Konsequenzen: einerseits die Gefahr der Vernachlässigung anderer, nicht angereizter Leistungen
(teaching to the test, s. Kap. 2.6.3.) und andererseits der Rückgang der Qualität nach Beendigung des P4P-Programmes, weil
der Qualitäts-relevante Leistungsbestandteil ja nicht mehr vergütet wird - so beobachtet im QOL-Programm in Großbritannien
(Lester et al. 2010, s. Kap 4.2.). Dieser Umstand ist weniger bei Ergebnisindikatoren möglich, ungeachtet der Problematik
Risikoadjustierung und strukturelle Benachteiligung kleiner Häuser (Cannon 2006, Davidson et al. 2007, Nicholson et al. 2008,
Scott und Ward 2006). Der hier diskutierte Effekt tritt in erster Linie bei Prozessindikatoren auf, vor allem wenn über ihren
Einsatz allgemeine Einigkeit besteht und sie z.B. durch EBM gut abgesichert sind (Nicholson et al. 2008). Anders ist es in
Situationen, in denen die Informationsasymmetrie nicht aufgehoben ist, z.B. bei der Behandlung chronischer Erkrankungen,
der Prävention von nosokomialen Komplikationen (z.B. Händedesinfektionsmittelverbrauch) oder im Bereich
Patientensicherheit. Um so mehr ist auf die Wichtigkeit vorangehender strategischer Überlegungen zu verweisen, da diese
Indikatoren sinnvoll positioniert werden müssen (vgl. Handlungfeld Politik). Für die weitere Entwicklung ist der Einsatz von
Ergebnisindikatoren nicht ausgeschlossen, wenn die Praxis von P4P sich eingespielt hat und die methodischen Probleme
erfolgreich bearbeitet wurden; besonders Outcome-relevante Patientensicherheits-Indikatoren (z.B. vermeidbare nosokomiale
Infektionen) sind hier zu diskutieren (s. Entwicklung in Maryland, Calikoclu et al. 2012). Die Validität des Indikators Mortalität im
Krankenhaus in seinen unterschiedlichen Spielarten (30-Tage, standardisiert) ist auf Systemebene vielleicht sinnvoll (Heller
2010), auf der Ebene der einzelnen Einrichtungen jedoch schlecht, insbesondere kleine Häuser sind benachteiligt (Davidson et
al. 2007, Scott und Ward 2006). Indikatoren der Strukturqualität sind meist weitgehend bekannt sind, eine
Informationsasymmetrie liegt nicht vor, ein reiner Investitionszuschuss ist sinnvoller ( s. Kap. 4.2.).
Empfehlung 21: Besonders bei Prozessindikatoren Übergang zur Einzelleistungsvergütung beachten!
Konsequenzen aus der principal-agent Theorie und damit Überschneidungen zur Einzelleistungsvergütung gehören zu den
schwierigsten Fragestellungen, mit denen sich das P4P-Konzept auseinanderzusetzen hat. Die wichtigste Einsicht besteht
darin, dass die Einzelleistungsvergütung überlegen ist, wenn es sich um gut bekannte, wissenschaftlich abgesicherte
Prozessindikatoren handelt. P4P ist nur sinnvoll, wenn eine Informationsasymmetrie besteht, d.h. das eigentliche Wissen um
die Gestaltung der qualitativ angestrebten Leistung bei den Leistungserbringern liegt. Dies ist z.B. bei Indikatoren aus dem
Grenzbereich zwischen Ergebnis- und Prozessindikatoren (z.B. zur Prävention vermeidbarer Komplikationen), bei der
Behandlung chronischer oder Mehrfacherkrankungen oder bei prozessualen Patientensicherheits-Indikatoren der Fall. Bei
Ergebnisindikatoren ist die Informationsasymmetrie meist kein Problem, hier stellt sich allerdings mit Macht die Problematik der
Risikoselektion. Strukturindikatoren sind als Investitionszuschuss anzusehen.
Konkrete Beispiele: Ein Prozessindikator wie die Abnahme einer Blutkultur vor Antibiotikagabe bei der ambulant erworbenen
Pneumonie ist für P4P nur schlecht geeignet, eine direkte Vergütung ist sinnvoller. Prozessindikatoren zur Koordination z.B.
wie Vollständigkeit der Informationsweitergabe sind sinnvoll, denn das Geschehen “dahinter” ist für die Finanzierungsseite nicht
zu durchblicken, und sie dienen im Übrigen strategischen Zielen (s.o.). Outcome-nahe Prozessindikatoren wie der Mitarbeiter-
bezogene Händedesinfektionsmittelverbrauch oder Readmission-Indikatoren sind ebenfalls sinnvoll, genauso Indikatoren, die
prozessuale Aspekte der Patientensicherheit beschreiben (z.B. Zahl der bearbeiteten Meldungen im CIRS).
► Aktualität und Wechsel der Indikatoren: Eine weitere Konsequenz aus den Überlegungen der principal-agent Theorie ist
die Notwendigkeit, Indikatoren hoher Aktualität einzusetzen (Sorbero et al. 2006, Torchiana et al. 2013) bzw. die Indikatoren
regelmäßig zu wechseln. Hat man sich erst einmal an die Indikatoren “gewöhnt”, geht von ihnen keine Anreizwirkung mehr aus,
daher ist es sinnvoll, diese spätestens alle drei Jahre neu festzulegen (Werner et al. 2011, Jha et al. 2012, Ryan et al. 2012).
Zur Gewährleistung von Aktualität und regelmäßigem Wechsel der Indikatoren empfiehlt sich die Delegation der
Indikatorenentwicklung an eine spezialisierte Institution, wie es in Großbritannien mit dem NICE geschehen ist (Gillem et al.
2012), und wie es in Deutschland mit dem neuen Qualitätsinstitut geplant ist.
Empfehlung 22: Indikatoren müssen aktuell sein und regelmäßig gewechselt werden
Um Aktualität und Wechsel zu gewährleisten, ist die Delegation an ein Institut wie dem geplanten Qualitätsinstitut sinnvoll.
► Wettbewerbsdichte und dual use: Auf der Basis der der hier diskutierten ökonomischen Konzepte (s. Tableau 37) muss
auf die Frage der Kombination mit anderen Qualitätsinitiativen eingegangen werden, vor allem wenn sie Wettbewerbscharakter
haben (z.B. public reporting). Ganz allgemein ist davor zu warnen, eine allzu hohe Vielzahl von parallelen, um die
Aufmerksamkeit der Leistungsanbieter konkurrierenden Qualitätsinitiativen zu initiieren, weil dies zu einem Wirkungsverlust
führen kann (overwhelming, s. Ryan et al. 2011). Spezifischere Fragen ergeben sch jedoch, wenn die Qualitätsindikatoren, die
Gegenstand der P4P sind, vorher oder parallel bereits durch andere Anreizsysteme adressiert werden. In der ersten Linie ist
hier das public reporting von Bedeutung (s. Kap. 4.3.), die Kombination mit P4P wird als dual use bezeichnet (zu den
entsprechenden Erfahrungen im HQIP- und im VBP-Programm in den USA s. Werner et al. 2011 und Ryan et al. 2011). Auch
der Sachverständigenrat hatte die EmpfehIung abgegeben, P4P und public reporting zu kombinieren (SVR 2008, Nr. 748 Ziffer
4). Diese Empfehlung bietet sich auf den ersten Blick ja auch unbedingt an: warum Indikatoren, die sich bei publlic reporting
schon bewährt haben, nicht auch bei P4P weiter nutzen? Trotzdem kann diese Empfehlung aus heutiger Sicht aus Sicht des
Autors der vorliegenden Arbeit nicht (mehr) gehalten werden, und zwar aus zwei Gründen:
1. public reporting hebt die Informationsasymmetrie auf, wenn es der P4P-Einführung vorgelagert ist, beiden Seiten ist
bereits bekannt, “wo der Hund begraben liegt”, und eine eigentliche (zusätzliche) Anreizwirkung kann nicht mehr erzeugt
werden - ganz abgesehen davon, dass bereits durch einen ceiling-Effekt (s. Empfehlung 12) das mögliche
Verbesserungspotential schon ausgeschöpft sein kann (Damberg et al. 2009). Diese Situation war in Massachusetts zu
beobachten, wo public reporting seit 2004 implementiert war und P4P 2009 zusätzlich eingeführt wurde; es war kein
zusätzlicher Effekt durch P4P zu beobachten (Massachusetts Medicaid’s Hospital-Based P4P Programm, s. Ryan et al. 2011).
2. beide Systeme haben eine unterschiedliche Wirkung je nach Wettbewerbsdichte. In beiden Fällen handelt es sich um ein
finanzielles Anreizsystem (vgl. Frolich et al. 2007), im Fall von public reporting durch indirekte Anreize (z.B.
Einweiserverhalten), im Fall von P4P durch eine direkte Anreizwirkung durch die Qualitäts-bezogenen Zahlungen (Werner et al.
2011). Der indirekte Anreiz durch public reporting wirkt besonders in hoch-kompetitiven Märkten (z.B. im städtischen Umfeld),
weniger jedoch in nicht-kompetitiven Märkten (z.B. ländliche Regionen), wo man als Einrichtung nicht befürchten muss, durch
Qualitätsinformationen Nachteile zu erfahren. Im ersteren Fall kann der direkte Anreiz durch P4P kaum noch weitere Wirkung
entfalten, in wettbewerbsschwachen Märkten stellt P4P jedoch das wirkstärkere Prinzip dar, da der direkte finanzielle Stimulus
auch unabhängig von der Wettbewerbsdichte wirkt.
Diese Überlegungen führen folglich nicht nur zu einer kritischen Haltung gegenüber dem gleichzeitigen Einsatz der beiden
Instrumente des Qualitätswettbewerbes, sondern weisen dem Instrument P4P auch präferentielle Einsatzgebiete entsprechend
der Ausprägung des Wettbewerbs in Teilmärkten zu: P4P ist besonders wirksam, wenn in nicht-kompetitiven Regionen andere,
indirekt Wettbewerbs-wirksame Instrumente nicht ausreichen, z.B. in ländlichen Gegenden. In hoch-kompetitiven Regionen ist
public reporting u.U. das wirksamere Instrument, zumindest erzeugt P4P keine zusätzliche Qualitätsverbesserung. Diese
Argumentation kann evtl. auch auf die fachliche Ebene ausgeweitet werden, so wird vereinzelt diskutiert, ob man P4P nicht
differenziert nach Krankheits- bzw. Fallgruppen einsetzen kann (Werner et al. 2011). Hoch-kompetitive Fallgruppen wie
Herzkatheterinterventionen oder operative Elektivtherapien wären aus dieser Sicht nicht in dem Maße ein sinnvolles
Einsatzgebiet für P4P wie weniger kompetitiv ausgerichtete Fachgebiete, z.B. die Behandlung von chronisch Kranken.
Empfehlung 23: Keine unhinterfragte Kombination mit public reporting, beide Instrumente sind nicht synergistisch
Entgegen der bisherigen Ansicht ist die Kombination mit public reporting (dual use) äußerst kritisch zu sehen (ceiling,
Aufhebung der Informationsasymmetrie, komplementäre Wirkung hinsichtlich Wettbewerbsdichte), eher ist ein differenzierter
Eisatz beider Instrumente sinnvoll. P4P ist im Vergleich zu public reporting besonders wirksam in Bereichen (Regionen,
Krankheitsgruppen), in denen die Wettbewerbsdichte gering ist. Ein nach Wettbewerbsdichte differenzierter Einsatz nach
Fachgebieten ist ein interessanter Ansatz, der in der Zukunft zu diskutieren wäre.
► Verhaltensökonomie - framing: Entscheidungen werden in einem referentiellen Zusammenhang getroffen, der die
Interpretation erleichtert oder sogar erst ermöglicht. Dies betrifft z.B. die sog. Risiko-Aversion (”der Spatz in der Hand ist besser
als die Taube auf dem Dach”, s. Damberg et al. 2007), die zu einer höheren Diskontierung führt: weil die Gefahr gesehen wird,
dass ein Ereignis in der Zukunft nicht eintritt, obwohl es mehr Nutzen erbingen könnte, wenn es tatsächlich eintritt, wird lieber
ein geringerer Nutzen in der Gegenwart realisiert. Gerade bei der Kopplung der P4P-Vergütung an die Qualitätsindikatoren
spielt das eine große Rolle, wenn mit relativen Positionen (”die besten 10”) gearbeitet wird, denn in diesem Fall hängt die P4P-
Vergütung nicht nur von der eigenen Leistung, sondern ebenso von der Leistung der Wettbewerber ab, erst am Schluss ergibt
sich die eigene Position. Falls diese Sicherheit zu gering ist, wird insbesondere bei starker Risiko-Aversion der Nutzen zu stark
diskontiert (Zusammenstellung s. Cannon 2006, zu den entsprechenden Befunden im HQIP-Projekt s. Jha et al. 2012, Ryan et
al. 2012B). Dies gilt auch für den Fall, dass die (technische) Berechnung der Anreize nicht klar ist (Ryan et al. 2011), wenn man
sozusagen “nicht weiß, woran es liegt”. Genauso sind Unterschiede zu beobachten, je nachdem ob eine Entscheidung als
möglicher Verlust (loss-frame) oder als möglicher Gewinn (gain-frame) interpretiert wird. Ein leistungsabhängiger Gehaltsanteil
gleicher Größe wird höher eingeschätzt, wenn das Gesamtgehalt am Jahresende ausgezahlt und der variable Anteil bei Nicht-
Erreichen der Ziele am Jahresende abgezogen wird, als wenn er am Jahresende erst gewährt wird (Frolich et al. 2007).
Personen sind meist Verlust-avers, d.h. ein entgangener Gewinn wird weniger hoch bewertet als ein gleich großer Verlust
(Werner und Dudley 2012). Die Komponenten eines adäquaten framing werden sehr gut durch das Mindscape-Instrument
beschrieben (s. Abb. 13). Für die Einführung eines kritischen Instrumentes wie P4P sind also authentische messenger (opinion
leader) genauso notwendig wie erfolgreiche Pilotprojekte (s. HQIP in den USA), Wertschätzung der Akteure bzw.
Gesundheitsberufe statt “bad apples” und vor allem gesellschaftlich Rahmenbedingungen, die Normen und Kontext der
Einführung dieses neuen Instrumentes wiedergeben (s. Kap. 7.7.).
Empfehlung 24: Berücksichtigung von Risiko- und Verlustaversion sowie optimales framing erforderlich
Die Einführung von P4P muss auf die Risiko- und Verlustaversion der Einrichtungen Bezug nehmen, der Diskontierung
entgegentreten und die positiven Aspekte (Qualitätsverbesserung, professionelle Autonomie) in den Vordergrund stellen. Das
framing kann nicht ohne gesellschaftliche bzw. politische Rahmenbedingungen geschehen, die die Notwendigkeit und die
Perspektiven eines Wechsels der Vergütungslogik als allgemeinen Konsens wiedergeben.
► Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit: Die Zahlung der P4P-Vergütung muss nicht nur zeitnah (s. Kap. 7.4.), sondern
wegen der Diskontierungstendenz verlässlich und im Zustandekommen nachvollziehbar erfolgen. Die Gesundheitsberufe und
Einrichtungen können nur dann einen Feedback erkennen, wenn sie verstehen können, wie eine Qualitäts-bezogene
Vergütung ausgelöst wird und gestaltet ist.
Empfehlung 25: Verlässliche und nachvollziehbare Zahlungen
Das Verständnis für das Zustandekommen der P4P-Zahlungen verbessert die Wirksamkeit des Feedback.
► Integration in Vergütungssysteme: P4P wird grundsätzlich im Rahmen anderer Vergütungssysteme eingesetzt (s. Kap. 6).
Getreu der Maßgabe “Qualität statt Menge!” kommt P4P gerade in Gesundheitssystemen in die Diskussion, die durch Mengen-
orientierte Vergütungssysteme wie DRGs oder Einzelleistungsvergütung geprägt sind. Allerdings kann P4P aus mehreren
Gründen (z.B. hohe Opportunitätskosten) den Mengenanreiz nicht ausgleichen. Es besteht sogar die Gefahr, dass bei
Einzelleistungsvergütung und sektoralen Pauschalen der Mengenanreiz durch P4P verstärkt wird, und zwar wenn bei
Leistungen, bei denen die Möglichkeit zur Mengenausweitung besteht (z.B. Endoprothetik) Indikatoren mit geringer Sensitivität
verwendet werden, sich mit den resultierenden Qualitätsdaten eine Mengenausweitung begründen lässt und eine aktive
Risikoselektion möglich erscheint. Sieht man vom Mengenanreiz ab, können bei Einzelleistungsvergütung und sektoraler
Pauschalierung jedoch interessante Einsatzmöglichkeiten für P4P darin bestehen, die Koordination der Behandlung und
überhaupt die Behandlung von chronischen Erkrankungen zu verbessern. Man gleicht damit den Nachteil chronischer,
konservativer Erkrankungen aus, der dadurch entsteht, dass die ökonomische Anreize bei diesen Vergütungsformen eher auf
operativ zu behandelnde Akuterkrankungen gerichtet sind, und greift damit eines der dringensten Qualitätsprobleme auf.
Gleiches gilt für auch für andere Themen wie Patientensicherheit (z.B. Indikatoren zur Einführung und sinnvollen Handhabung
von Instrumenten wie CIRS). Bei der integrierten transsektoralen Versorgung, Erkrankungspauschalen oder Managed Care tritt
der Mengenanreiz zurück und die Koordination der Behandlung und die Versorgung von Patienten mit chronischen, multiplen
Erkrankungen mehr in den Vordergrund, so dass man mit einem gezielten Einsatz von P4P sinnvoll eingreifen und
Schwerpunkte in der Qualitätsentwicklung setzen kann (s. QOF-Projekt in Großbritannien). Analog lässt sich zum Thema
Prävention vorgehen, hier ist es grundsätzlich möglich, den vor allem durch Diskontierungsaspekte gehemmten Einsatz der
Prävention (s. Abb. 8, Kap. 3.5.1.) zu fördern.
Empfehlung 26: Integration in andere Vergütungssysteme kritisch und differenziert vornehmen
P4P kann grundsätzlich nicht die dominanten Anreize der Vergütungssysteme ausgleichen, in die es “eingebettet” wird. Dies
gilt in Deutschland vor allem für das DRG-System im Krankenhausbereich. Allerdings ist es möglich, eine vorgeschaltete
strategische Analyse vorausgesetzt, durch einen differenzierten Einsatz von P4P Bereiche zu fördern, die vom DRG-System
vernachlässigt werden. Hier ist insbesondere an die Versorgung chronisch, mehrfach erkrankter Patienten zu denken, weiterhin
an die Koordination über die Sektorgrenzen hinweg und die Prävention.
Weiter: 7. Empfehlungen für die zukünftige Nutzung von P4P, 7.7. Politische Verantwortung
Seite
Kapitel
Seite
Kapitel
7. Empfehlungen für die zukünftige Nutzung von P4P
7.6. Ökonomie und Vergütungssystem
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Tableau 37: Ökonomische
Ausgangsüberlegungen (s. Kap. 4)
● Grundlagende Überlegungen (vgl. Kap. 4.2.)
- Opportunitätskosten
- Diskontierung
● Principal agent Theorie (vgl. Kap. 4.2.)
- Informationsasymmetrie
● Verhaltensökonomie (behavioural
economics) (vgl. Kap. 4.3.)
- framing, insbes. Risikoaversion
- globale Einschätzung
- isolation effect
● Kombination mit dominierendem
Vergütungssystem (vgl. Kap. 5.), insbes.
- Einzelleistungsvergütung
- Sektorale Pauschalen
- Transsektorale Pauschalen
- Populationspauschalen
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen