Das Rahmenkonzept, das für die vorliegende Analyse unter dem Arbeitsbegriff “komplexe professionelle Systembürokratie”
Verwendung findet, versucht möglichst umfassend, die Kontextbedingungen zu identifizieren und einzubeziehen, die den
Einsatz von P4P beeinflussen, sowohl hinsichtlich der Modelle zur Verhaltensänderung als auch bezüglich der ökonomischen
Entscheidungsmodelle. Auf keinen Fall darf dabei natürlich das Gesamt-Vergütungssystem fehlen, in das P4P als
Vergütungsbestandteil eingebettet ist (Mayes 2011). So ist z.B. die Frage zu stellen, ob in einem DRG-System oder in einem
Vergütungssystem, das auf Einzelleistungen beruht, der immanente Mengenanreiz durch P4P wirklich aufgehoben werden
kann, denn “... the toxicity of the existing payment system may prevent weakly powered incentives from overcoming the
Sisyphean task of QI” (Damberg et al. 2009). Ob es nun notwendig ist, das System ganz zu wechseln, wie es gelegentlich in
den USA formuliert wird (Corrigan und McNeill 2009), oder ob es möglich ist, mittels des Instrumentes P4P Schwächen des
Systems an einzelnen Stellen zu heilen, soll anhand einer groben Charakterisierung der Verfasssung von
Gesundheitssystemen im folgenden Absatz kurz diskutiert werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass das deutsche
Gesundheitssystem wie die meisten anderen westlichen Gesundheitssysteme dadurch charakterisiert ist, dass
● eher die Leistungsmenge vergütet wird als die Qualität der Leistung, dass
● es sehr stark sektoral gegliedert ist, dass
● Erkrankungen und damit verbundene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und nicht die Krankheitsvermeidung
(Prävention) vergütet werden, und dass es
● auf Akuterkrankungen und nicht auf die kontinuierliche Betreuung chronisch und mehrfach Erkrankter ausgerichtet ist.
In mehreren Übersichtsarbeiten sind die die Zusammenhänge zwischen P4P und anderen Vergütungsinstrumenten ausführlich
dargestellt worden (Miller 2009, Rosenthal 2008). Die Mengenorientierung ist dabei in zweifacher Weise von Bedeutung, zum
einen stellt sie traditionell das Hauptargument für die Einführung von P4P dar (”wir vergüten Menge statt Qualität, daher muss
P4P kommen”), ist aber gleichzeitig eines der Haupthindernisse für dessen Wirksamkeit, weil in einem Mengen-orientierten
System die Opportunitätskosten besonders hoch sind - als Alternative zur Investition in Qualitätsverbesserung und
Dokumentation gilt immer: “ein Fall geht noch” (ausführliche Darstellung einschl. Risiko-Aversion und Diskontierung s.o.). Aber
auch die sektorale Gliederung schränkt den Horizont und damit den Effekt einer P4P-Vergütung stark ein, denn Anbieter
werden entsprechende Maßnahmen in erster Linie dann in Betracht ziehen, wenn der daraus resultierende Nutzen in ihrem
Sektor und nicht im Nachbarsektor anfällt. Generell kann man nur betonen, dass eine ausgeprägte Sektorierung für alle
Qualitätsverbesserungsmaßnahmen ein großes Hemmnis ist, weil immer auch Nachbarsektoren profitieren, die sich selbst
nicht engagiert haben. Der Erkrankungs-Bezug der Finanzierung verweist auf eine weitere grundsätzliche Weichenstellung in
unseren Gesundheitssystemen, denn trotz aller Sonntagsreden finanzieren wir Akuterkrankungen als “misslungene
Prävention”. Wenn hier also kein Paradigmenwechsel stattfindet, wird auch P4P dort eingesetzt werden, wo das
Gesundheitssystem seinen Schwerpunkt hat und - das darf man nicht vergessen - wo Daten verfügbar sind: in der (prozedural
orientierten, operativ dominierten) Akutmedizin und nicht in der präventiv ausgerichteten Gesundheitsversorgung. Für die
Orientierung an Akuterkrankungen gilt Ähnliches, P4P verstärkt sogar die Bindung an Akuterkrankungen (z.B.
Myokardinfarkt, ambulant erworbene Pneumonie), sowohl gegenüber Prävention als auch gegenüber den chronischen
Erkrankungen, indem sie die Vergütung dieser Erkrankungen erhöht - es sei denn, man steuert aktiv um und nimmt mittels des
Instrumentes P4P gezielt und strategisch überdacht die chronischen und Mehrfacherkrankungen in den Blick. Das QOF des
NHS, das sich primär an chronische Erkrankungen richtet, hat hier eine wichtige Vorreiterfunktion.
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5. Integration in bestehende Vergütungssysteme
5.1. Dominierende Vergütungsanreize im deutschen Gesundheitssystem
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln
Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller
Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
M. Schrappe
P4P: Aktuelle Einschätzung,
konzeptioneller Rahmen und
Handlungsempfehlungen