26.02.2017 Stellungnahme zum Methodenpapier des IQTIG
“Methodische Grundlagen” Version V1.0s
(Fortsetzung 5 und Schluss)
3.3.3. Validität von Indikatoren
Die Ansicht, Indikatoren wären als Instrumente der Qualitätsmessung anzusehen,
und die daraus resultierenden Ungenauigkeiten in der Definition von Indikatoren
gipfelt letztendlich in einem fragwürdigen und nicht korrekten Verständnis der
Validität von Indikatoren. Wie in Abb. 2 im oberen Abschnitt ausgeführt, resultiert ein
lineares Messverfahren, wie es im Methodenpapier des IQTIG für Indikatoren
angenommen wird, in einem Verständnis von Validität, das sich darauf bezieht, ob
das Messergebnis (z.B. Rate postoperativer Wundinfektionen oder Mortalität) richtig
wiedergegeben wird (die Reliabilität gibt die Zuverlässigkeit des Messvorganges
wieder).
Verwendet man aber Indikatoren richtigerweise als Monitoring-Instrumente (Abb. 2
untere Hälfte), besteht deren Validität nicht darin, das Indikatorziel richtig zu
messen, sondern Anlass für weitere Evaluationsschritte zu geben und damit die
Qualität als Einflussfaktor auf die Varianz der Leistungserbringung zu beschreiben5.
Die oben ausgeführte Notwendigkeit, Indikatoren hoch-sensitiv einzustellen, bezieht
sich also auf deren Reliabilität, die Fähigkeit, das Indikatorziel (z.B. Mortalität)
richtig zu erkennen; die Validität entspricht der Fähigkeit, diese Ereignisse mit der
Qualität der Leistungserbringung in Zusammenhang zu bringen. Es ist dabei selbsterklärend, dass Indikatoren, die nicht reliabel
sind (z.B. Abrechnungsdaten bei nosokomialen Infektionen), nie valide Indikatoren abgeben können (eine defekte Flinte
(Reliabilität) kann nicht immer bzw. häufig treffen (Validität), höchstens per Zufall).
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass im
Konzept des IQTIG, bedingt durch das Verständnis von
Indikatoren als lineare Messinstrumente, die Reliabilität von
Indikatoren als Validität fehlinterpretiert wird. Diese
Vertauschung begegnet dem aufmerksamen Beobachter im
Gesundheitswesen häufig: so wird beklagt, dass sich eine zu
hohe Rate von Katheterinfektionen in der §137a-Dokumentation
bei der näheren Nachprüfung vor Ort als falsch herausgestellt
hätte, denn einige Katheterinfektionen seien fehldokumentiert
worden (falsch-positiv) – dieser Indikator sei eben
„unspezifisch“, also „nicht valide“. Diese häufige Ansicht
beschreibt wie unter dem Vergrößerungsglas die ganze Misere,
denn niemand fragt nach, oder der Indikator alle tatsächlich
vorliegenden Katheterinfektionen erkannt hat, also (wie
verlangt) hoch-sensitiv ist, und dabei sozusagen
nebenbefundlich auch falsch-positive Befunde ergeben hat.
Dazu müsste man allerdings mit einer Goldstandard-Methode
(z.B. NI-Dokumentation nach CDC-Kriterien) nachsehen, wie
viele Katheterinfektionen tatsächlich im fraglichen Zeitraum
vorlagen, und mit den durch die QS-Dokumentation erfassten
Zahlen vergleichen. Der Indikator wäre also von hoher
Reliabilität, wenn er alle Infektionen identifiziert hätte, und von
hoher Validität, wenn sich z.B. im Rahmen eines Peer Review-Verfahrens herausgestellt hätte, dass den Infektionen
Qualitätsmängel zugrundgelegen haben.
Das Methodenpapier des IQTIG lässt indirekt erkennen, dass diese grundlegende Unstimmigkeit durchaus nicht ganz ohne
Aufmerksamkeit geblieben ist. Aus der nicht zutreffenden Verwendung der Begriffe Reliabilität und Validität erwächst nämlich
die Schwierigkeit, den Terminus der Validität von Indikatoren positiv zu definieren. Das Methodenpapier versucht diese Situation
so zu lösen, dass der Begriff der Validität ganz umgangen wird, und es versteigt sich zu der Ansicht, dass der Begriff der
Validität im Gesundheitswesen nicht zu verwenden sei. Unter der Überschrift „Validität und Korrektheit der
Berechnungsspezifikation“ heißt es auf S. 95f (Hervorh. der Verf.):
„Unter der Validität einer Messung wird das Ausmaß verstanden, in dem der Indikator tatsächlich das abbildet, was er zu
messen vorgibt (…). Dieses Kriterium stammt aus der Psychometrie und bezieht sich auf latente, nicht direkt
beobachtbare Messgrößen wie etwa Intelligenz oder Persönlichkeitsmerkmale. Auf Qualitätsindikatoren, die direkt
messbare Größen abbilden sollen, wie etwa Mortalität, Komplikationsraten oder ähnliches, lässt sich dieses
Konzept demnach nicht übertragen. Dies trifft vor allem auf Qualitätsindikatoren zu, die auf der Dokumentation durch
die Leistungserbringer oder auf Sozialdaten bei den Krankenkassen basieren. Die Validität der Messung solcher
Indikatoren wird im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass die Berechnungsvorschrift für den Indikatorwert
angemessen und korrekt spezifiziert ist (siehe Abbildung 9). Beispielsweise ist der Indikator „Krankenhaussterblichkeit
bei Behandlung ambulant erworbener Pneumonien“ nur zu dem Ausmaß valide, zu dem korrekt festgelegt wurde, welche
Daten das Merkmal „Sterblichkeit“, den Zeitraum „Kranken-hausaufenthalt“ sowie die Nenner-Population des Indikators
(„Pneumonie“ und „ambulant erworben“) beschreiben.“
Mit anderen Worten, das IQTIG ist der Ansicht, dass der Begriff der Validität, der nach allgemeiner Übereinkunft zentral im
Verständnis von Indikatoren ist, für Qualitätsindikatoren im Gesundheitswesen nicht anwendbar ist. Nur der Vollständigkeit
halber soll darauf verwiesen werden, dass z.B. im QM-Curriculum der Bundesärztekammer, KBV und der AWMF die Validität
von Indikatoren folgendermaßen definiert wird:
„Gültigkeit. Grad der Genauigkeit, mit dem ein Testverfahren das misst, was es messen soll. Die Validität ist das
wichtigste, jedoch auch das am schwierigsten zu bestimmende Gütekriterium (siehe auch → Reliabilität). Nach der
Bestimmungsmethode werden verschiedene Gültigkeiten voneinander unterschieden (z.B. Konstruktvalidität,
Augenscheinvalidität etc.)“ (S. 81f).
Die Literatur zur Validität von Indikatoren ist unübersehbar groß. Es sei hier die Formulierung der Joint Commission
herausgegriffen (JCAHO 1991):
“Degree to which indicators identify events that merit further review.”
Im Methodenpapier des IQTIG wird der Begriff der Validität stattdessen ersetzt durch die Spezifizierung des Messwertes. Man
kann abschließend nur darauf hinweisen, dass die hier zutage tretende Ansicht nur aus dem im Methodenpapier vertretenen
Qualitäts- und Indikatorenverständnis zu interpretieren ist. Eine Basis für einen sinnvollen Umgang mit der Thematik der
Qualitätsindikatoren stellt sie nicht dar.
Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass das Methodenpapier des IQTIG die Begriffe der Reliabilität und
Validität von Indikatoren nicht zutreffend differenziert. Es wird im vorliegenden Methodenpapier im Gegensatz zur
allgemein (national und international) vertretenen Ansicht die Behauptung aufgestellt, es gäbe keine sinnvolle Anwendung
des Begriffes Validität auf Qualitätsindikatoren. Dieser Ansicht kann man nicht beipflichten.
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5 Es folgt hieraus zwangsläufig, dass Indikatoren, die risikoadjustiert werden müssen, weniger geeinget sind, Prozessparameter dagegen direkte
Konsequenzen haben können. So ist ein niedriger Verbrauch von Händesdesinfektionsmitteln immer von einer mangelnden Händedesinfektion
gefolgt, ohne dass eine Risikoadjustierung notwendig ist.
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