Matthias Schrappe
Kochen
03.12.2014: Kalbszunge mit Linsen und Vinaigrette
Ja, wer denkt da nicht an die Stones oder irgendwie an Andy Warhol. Wohlgemerkt, diese Kalbszunge ist bereits gekocht...
Aber fangen wir vorne an, das Gericht sorgt nämlich für spannende
Diskussionen mit Enteroskeptikern und gar Enterophobikern. Also
Mitmenschen, die bedauernswerterweise ein Problem mit dem Verspeisen
von gut zubereiteten Innereien haben - und die Zunge, sagt der
Gastroenterologe, steht ja zwischen den Welten, man könnte sie zu den
Innereien rechnen. Allerdings: Strecken Sie mal die Zunge raus - das kann ja
keine Innerei sein. Das wäre zumindest ein denkbares Hilfsargument.
Aber vielleicht sollte man das Bild nicht vor dem Essen zeigen, vor allem weil
die weiße und dicke Haut ja noch abgezogen werden muss - und darunter
befindet sich leckerstes, mit kleinsten Fettschichten durchzogenes zartes
Fleisch, ein bisschen an die Bäckchen erinnernd. Gut, was man braucht:
ordentlich viel Suppengemüse, getrocknete Linsen, ein bisschen Ruhe und -
ja man braucht die Kalbszunge. Also große Bitte an den Metzger, uns doch
eine solche zu besorgen, verbunden mit der Ansage: im Supermarkt hat man
das noch nie gesehen. Warum macht die aussterbende Metzger-Innung, das
fällt einem dabei wieder auf, eigentlich keine Werbekampagne: Esst abwechselungsreich! Wir sind die Spezialisten für die
ausgefallenen Gerichte! Wir besorgen alles - innerhalb 24 Stunden! Diese Woche Schweinebäckchen, die Spezialität der
nächsten Woche: Kalbszunge! Vielleicht würde das ein bisschen Aufwind geben, denn man kommt ja gar nicht mehr auf die
Idee, solche Speisen abseits der ausgefahrenen Wege zu kochen, immer immer Schweinefillet und Hühnchenbrust... Und
(für die Metzger): besser als belegte Brötchen verkaufen, ist das doch allemal.
Das Rezept habe ich das erste Mal in Hannover gegessen, es stammt aus dem Kochbuch “Mein Hannover - kulinarische
Begegnungen” von Marc Theis, ich habe es etwas abgewandelt. Außer der Kalbszunge braucht man also nicht viel, nur halt
ein bisschen Zeit, ist keine 30 Minuten Küche.
1. Es geht los - mit einer selbst hergestellten Gemüsebrühe in einem großen Topf (in den die Zunge reinpasst), also Olivenöl,
Zwiebel anbraten, dann Sellerie Möhren Knoblauch zerstoßene
Pfefferkörner und Wachholderbeeren 2 Lorbeerblätter. Wenn
ordentlich geröstet, mit 2-3 l Wasser aufgießen, dazu zwei
Lauch. Wenn das ordentlich köchelt, die Zunge (gewaschen,
geputzt, aber im Ganzen!) da rein, sie muss bedeckt sein. Salz.
1 Stunde vorsichtig köcheln.
2. 200gr Linsen (4 Personen) waschen.
3. Zunge rausnehmen, abkühlen lassen, dann die weißliche
Haut vorsichtig abziehen. Jetzt oder unter (7) in dünne
Scheiben schneiden, evtl. in den Kühlschrank.
4. Den Sud durch ein Sieb gießen, kostbar! Die Linsen in 1-1,5 l
des Sudes gar kochen, reichlich Salz dazu, etwas (1/2 TL)
gemahlener Kreuzkümmel. Gelegentlich abschmecken, ob die
Linsen gar sind, plusminus 20 Minuten. Linsen abgießen, die
Flüssigkeit kann zu dem übrigen Sud, man kann diesen
“Gemüsefond mit Zunge” super für eine weitere Verwendung
einfrieren, z.B. Kürbissuppe.
5. Rechtzeitig Kartoffeln aufsetzen.
6. Vinaigrette machen: 3 EL guten Rotwein-Balsamico, 1 TL bis 1 EL Senf, Salz, Pfeffer, verrühren, 3 EL Sud dazu. Evtl.
etwas Rübenkraut, die süße Note passt gut, wenn genügend Essig. Olivenöl drunter, evtl. in den Kühlschrank.
7. Kurz vor dem Servieren: die Zungenscheiben von jeder Seite kurz (1 Minute) kräftig anbraten. Eine frische Tomate
kleinschneiden, den heißen Linsen beimengen. Mit der Vinaigrette servieren (diese je nach Wunsch über die Zunge, die
Linsen oder beides).
Man muss sich etwas Zeit nehmen, wie gesagt. Aber man kann den Kochvorgang an mehreren Stellen sehr gut
unterbrechen, z.B. zwischen Schritt 3 und 4, oder zwischen 4 und 5. Das Rezept ist also z.B. ein guter und leichter
Zwischengang für ein mehrgängiges Mahl.
Kein Enteroskeptiker kann da widerstehen. Danach kann man auch das Stones-Bild zeigen. Was nicht aufgegessen wird: am
nächsten Tag mit Senf.
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