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Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
31.12.2013: Weihnachtslektüre Ein bisschen Zeit, ein bisschen Ruhe. Ich stolpere mehr aus Zufall über einen Artikel von Janet Corrigan in Health Affairs, schon ein paar Jahre alt. Janet Corrigan ist nicht Irgendjemand. Sie war bis vor kurzem die Präsidentin des National Quality Forums, Referenzinstitution z.B. für das Programm des Value-Based Purchasing von Medicare in den USA, in dem alle Krankenhäuser, die Medicare-Patienten behandeln, nach Effizienz-Kriterien bezahlt werden. Was ein Einstieg, welche Klarheit und Kraft der Worte: “Although common parlance often refers to the U.S. health care “system”, it is anything but. It comprises many uncoordinated pieces, lacks a common strategy, and seldom achieves the promise of consistently high performance seen in other sectors of the economy. Eight years ago, the Institute of Medicine’s (IOM’s) Crossing the Quality Chasm report called for fundamental transformation of the way in which health care is organized and delivered. The report concludes: ‘The current care system cannot do the job. Trying harder will not work. Changing systems of care will.’” Obwohl man immer vom amerikanischen Gesundheitssystem spricht, ist es gar kein “System”... Das gegenwärtige “System” kann es nicht leisten. Es kann nicht die Lösung sein, die Taktzahl zu erhöhen, man muss das System anders denken. Die Argumentation hallt nach. Assoziationen: das Hamsterrad, in dem sich die meisten Kollegen, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Institutionen und deren Lenker fühlen (sektorale Logik, Mengenanreiz erfüllen). Patientensicherheit: nicht die individuelle Anstrengung, sondern die “andere” Sicht (Prozesssicht, Teamarbeit, Organisations- und Systemsicht...) kann Sicherheit erhöhen. Der Gesundheitsökonom Markus Lüngen sagte mir einmal, dass nach seiner Sicht Ärzte, wenn sie sich in erschwerten Umfeldbedingungen zu behaupten versuchen, nur die Möglichkeit eines schnelleren und vermehren Arbeitens sehen, eine veränderte Organisation ihrer Arbeit ziehen sie nicht in Betracht. In dem Corrigan-Artikel wird dann die ganze Problemstellung herunterdekliniert: Fragmentierung, Volume statt Outcome, Vorherrschen der professionellen Autonomie über die organisatorische Umsetzung, fehlende Verantwortung. Was tun - Qualitätsmessung und -vergleich einschließlich entsprechender Infrastruktur. Und Änderungen in der Vergütung: Pay for Performance, “gebündelte” (bundled) Vergütung, direkte Finanzierung von Methoden der besseren Koordination der Behandlung, Managed Care im gezielten Einsatz. Jedes Argument stimmt. Und der Artikel hallt nach. Was irritiert? was fehlt? Es ist klar was fehlt. Eine solche Stimme in Deutschland. Wir haben die gleiche Situation: fehlende Koordination, Fragmentierung, keine gemeinsamem Logik, keine Richtung. Aber niemand spricht Klartext. Stattdessen machen wir auf gute Laune. In Health Care City rund um den GBA werden die Personen und Meinungen herumgereicht und alles schöngeredet. Nur kein klares Wort, das könnte für den nächsten Karriereschritt schädlich sein. Stattdessen machen wir auf gute Laune. Passt doch zu Weihnachten. Und dann: Frohes Neues Jahr. (Corrigan J, McNeill D: Building Organizational Capacity: A Cornerstone of Health System Reform. Health Aff. 28, 2009, w205-15) 16.12.2013: Gesundheitspolitik - ja wo ist sie denn? Fachlichkeit ist nicht alles, selbstverständlich, politisch denken, erfahren sein, handeln ist ebenso wichtig. Natürlich sind Politker und Politikerinnen Menschen, denen man ein gewisses Geltungsbedürfnis nicht absprechen darf, nur preußische Pflichterfüllung, das wäre doch zu gestrig. Was haben wir noch - ach ja, den Proporz, der Parteien, der Geschlechter, der Landsmannschaften, um nur die Wichtigsten zu nennen. Trotzdem fragt man sich verdutzt: wir haben trotz allem doch auch ein paar Gesundheitspolitiker in Deutschland, die eine gewisse Expertise im In- und Ausland erworben haben, oder? Würden wir denn einen Finanzminister haben wollen, der noch nie mit Herrn Draghi gesprochen hat, noch nie in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum war, wenigstens als Gast? Aber im Gesundheitswesen spielt das ja alles wohl keine Rolle. Wir haben zwar steigende Ausgaben, erhebliche Probleme mit Qualität und Sicherheit und - um nur bis zum dritten Problem zu gehen - einen Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen, der Qualitätsmängel finanziell belohnt, aber warum sollen wir da Politiker mit beschäftigen, die etwas von diesem schwierigen Terrain verstehen? Wir haben zwar eine studierte Ärztin und Public Health’erin im Kabinett, die aber lieber als siebenfache Mutter und erste Frau Verteidigungsministerin werden will. Bringt sicher die besseren Fernsehbilder (Frauen zur Bundeswehr!) und ist besser für die Karriere, als wenn man sich an einer sinnvollen Verwendung von einer guten Viertel Billion jährlicher Steuer- und Abgaben-Euros abarbeitet, die der Steuer- und Abgabenzahler jährlich für das Gesundheitswesen bereitstellt. Und wir haben ja auch noch andere Gesundheitspolitiker, die sich seit Langem mit der Thematik beschäftigen, und immerhin einen Koalitionsvertrag zu dem Thema zustandegebracht haben; man kann im Einzelnen hier kritisieren was man will (s. unten), aber eine gewisse Sach- und Detailkenntnis ist den beiden Herren AG-Vorsitzenden ja nun nicht abzusprechen, von GBA-Vorsitzenden und Anderen mal ganz zu schweigen. Und politisch ganz unerfahren? kann man wohl auch nicht sagen. Aber da würde sich ja auch was bewegen, die Hoffnung wäre jedenfalls angebracht. Wenn man überhaupt glaubt, dass diese ganz, ganz große Koalition ohne richtige Opposition ausser Stillstand und Verschlechterung der Bürgerrechte (da werden wir sogar noch Frau LS von der FDP nachtrauern, es tut mir sehr leid, das sagen zu müssen ...) etwas bewegt, etwas zustande bringt. Am Schluss, ganz plötzlich, sind wir über den (NRW-)Proporz dann doch noch erfreut, K.- J. Laumann ist natürlich ein Profi. Als Staatssekretär.
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