Matthias Schrappe
Lesen
Unterwerfung von Michel Houellebecq, Dumont, Köln, 2015, ISBN 978-3-8321-9795-7 (01.02.2015)
Lange nicht viel gelesen, aber in der Vor- und Nach-Weihnachtszeit wieder in Gang gekommen,
dann der Geburtstag: große Bücherstapel überall. Und - es ist eine knisternd-spannende Zeit,
Charlie-Hebdo, Griechenland, Krise des Konservativismus, Wutbürger, alles steht in Frage. Dass
soumission von Michel Houellebecq auf der Titelseite der betreffenden Charlie-Ausgabe stand, hat
man ja unweigerlich als “kein Zufall!” interpretiert, obgleich sich das wohl nicht halten lässt. Es ist
aber letztlich einerlei, denn dieses Buch wird aus den anstehenden Diskussionen nicht
wegzudenken sein. Allerdings haben diese Diskussionen es in sich, schon die Themen sind
schwer zu spezifizieren. Was ist die häufigste Reaktion im Freundes- und Bekanntenkreis, wenn
man über dieses Buch spricht: ach ja, und der Sarazin, der hat doch auch... Weit gefehlt:
“Unterwerfung” ist weit davon entfernt, ein islamophobes Buch zu sein. Wenn Houellebecq in
seinen Kölner Interviews vor ein paar Tagen immer wieder betonte, er habe erstens kein
islamophobes Buch geschrieben, zweitens hätte er aber das Recht dazu, dann hat er mit diesen
beiden Aussagen genau - recht. Natürlich geht es in diesem Buch um den Islam, es geht weiterhin
um den Front National, das kann ja nicht ausbleiben, aber im allertiefsten Grunde geht es um die
Krise des säkularen, republikanischen Staates. Nur des französischen Staates? nicht zu früh
freuen, es fallen einem leicht eine ganze Reihe von anderen europäischen Ländern ein, die
gemeint sein könnten, die sich angesprochen fühlen müssten.
Der erste Eindruck: das Buch ist gut geschrieben und sehr gut übersetzt. Und man muss in einem Punkt allen Rezensenten
recht geben, die Geschichte ist ziemlich linear, ja, die Hauptperson macht keinerlei Entwicklung durch und scheint sich auch
mit keinen unlösbaren Entscheidungen abzukämpfen, die letzten drei Seiten mal außen vorgelassen. Wenngleich man sich
bald des Eindrucks nicht erwehren kann, dass diese Linearität vielleicht Programm ist, dass in diesem Sinne die Monotonie
der gestellten Diagnose entspricht. Der französische Intellektuelle, in seinem Dreieck von Elitarismus, Langeweile und Sex, hat
sich und die Gesellschaft aufgegeben, kein Kampf, keine Überzeugung, kein Nichts. Bestenfalls ein leichtes Unwohlsein
angesichts unerwarteter Entwicklungen, die die gewohnten Verhältnisse konterkarieren, z.B. angesichts des
Zusammengehens der “alten” Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien mit der Partei der Moslembrüder. Auf diese Weise kann
(im übernächsten Präsidentenwahlkampf der so zentralistischen V. Republik, die Jahreszahlen sind ganz real) ein Sieg des
Front National im Präsidentenwahlkampf verhindert werden, ein (gemäßigter) islamischer Kandidat wird zum französischen
Präsidenten gewählt.
Eine Zeitenwende bricht an, in den Vorstädten kehrt sogleich Ruhe ein, die Arbeitslosigkeit sinkt rapide, weil den Frauen der
Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wird, die Polygamie wird eingeführt (die Zahl der Frauen pro Mann berechnet sich nach
dessen Einkommen), die EU wird nach Nordafrika ausgedehnt, und die Hochschullehrer an der Sorbonne werden entlassen,
soweit sie nicht bereit sind, zum Islam zu konvertieren. Dann zeigen sich auch ein paar Risse in dieser Neuen Welt,
verschiedene arabische Länder konkurrieren, an der Universität kommt es zu keinen erfolgreichen Berufungen mehr, und
damit kommt die Geschichte etwas mehr in Fahrt. Was einen beim Lesen allerdings gefangen nimmt, sind die Details,
verbunden mit einer konsequenten Durch-Deklination der kritischen These, man lernt zu verstehen: Frankreich wird in den
nächsten Jahrzehnten im besonderen Maße ein politisches Labor darstellen, in dem die Weiterentwicklung der
demokratischen Gesellschaft nicht nur in ihrem kritischen Verhältnis zum Kapitalismus, sondern auch zur Metaphysik und
Religiosität geprobt wird. Manche Dinge versteht man dabei nur, wenn man die Besonderheiten der französischen Geschichte
berücksichtigt, z.B. die Rolle des Intégrisme, einer radikal-traditionalistischen Richtung der römisch-katholischen Kirche, die
sich besonders gut darauf versteht, eine Allianz mit dem Islamismus einzugehen, um den verhassten Laizismus
kleinzukriegen.
Nach der Lektüre wird man Monsieur Houellebecq sicherlich nicht zum obersten Optimisten der europäischen Literaturwelt
ernennen, aber dieser meistgelesene französische Autor unserer Tage hat ein Buch vorgelegt, mit dem er einen erheblichen
politischen Spür- und Scharfsinn unter Beweis stellt. Es ist ein interessantes Land, unser Nachbarland, das zeigen nicht nur
die 1,5 Millionen nach Charlie-Hebdo, sondern auch die aktuellen Diskussionen um Laizismus, die soziale Frage, die
Schulbildung, um Integration und - solch ein Buch.
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