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Matthias Schrappe
Kochen
22.05.2021: Poulet au Vinaigre Die schnöde deutsche Bezeichnung „Essighuhn“ ist eine banale, drastische Untertreibung, sowohl für das Huhn als auch für den Essig. “Hühnchen in Essig” nach Chabrol ist schon netter und nebenbei ein super Film (aber es bleibt doch unklar, welche Rolle nun das Gericht genau hat). Dabei ist Essig, und zwar der klassische Rotweinessig (und nicht der Spitzen- Fünfsterne-Balsamico aus dem dritten Seitental des … handverlesen …), vielleicht eine der am stärksten unterschätzten Zutaten. Natürlich darf das Ergebnis des Kochvorganges nicht schmecken wie ein Wasserkochtopf nach einer Turbo- Entkalkung mit Essig-Essenz. Aber richtig dosiert ist er eine zwingende und genussvolle Ergänzung in zahlreichen Gerichten, im Linsengericht, im Vindaloo, und ja ganz zentral: beim Poulet au vinaigre eben. Die Lyonais lieben dieses Rezept, und man braucht schon ein gutes Huhn, am besten eines, das schon mal gelaufen ist. (1) Dieses Huhn zerlegen in die berühmten 10 Teile (4mal Brust, viermal Schenkel, 2 Flügel), beiseite stellen. (2) Aus der Karkasse eine Hühnerbrühe herstellen: Karkasse zerteilen, scharf anbraten, raus, dann im gleichen Topf Zwiebeln, Gewürze (Lorbeer, Wacholder, Piment, 1 Nelke ...), Knoblauch, vielleicht Reste vom Gemüsen oder sogar Abfall vom Zwiebelschälen/ Gemüse anbraten, mit Wasser aufgießen, Hühnerknochen wieder rein, 45 Minuten. Abgießen, so dass es eine klare Brühe ergibt. Menge: 1 Liter ist eine gute Annäherung für ein kleineres oder ein halbes großes Huhn, man kann auch etwas für eine Hühnersuppe abzweigen. Man braucht viel Brühe! Weiter mit dem Vorbereiten für das Hauptgericht: (3) Hühnerteile kurz in Mehl wenden (mit Salz, Pfeffer) und in Öl anbraten (einige weniger kardioprotektiv orientierte Genießer verwenden Butter). Nur kurz, gerade die kleinen Teile dürfen nicht garen! Raus aus der Pfanne. (4) Gemüse für die Sauce zurechtmachen. Muss man sich überlegen welches. Es gibt Rezepte z.B. mit Perlzwiebeln, und das hat was: auch wenn man Frühlingszwiebeln mit „etwas Zwiebeln dran“ verwendet, sind das später diejenige Teile der Sauce, die am besten den Essig-Geschmack in sich aufnehmen und besonders köstlich sind. Trotzdem fängt man erstmal mit einer (am besten roten) Zwiebel an, und den Rest kann man durchaus nach dem Bestand im Kühlschrank gestalten: sehr gut sind ganze oder halbierte Knoblauchzehen, weiße Rübchen, eine halbe Möhre, wie gesagt Frühlingsszwiebeln, und ein Lauch feingeschnitten (dessen grüne Bestandteile man schon in die Brühe investiert hatte…). Je nach Konsistenz nacheinander anbraten, Salz, Pfeffer. (5) Jetzt kommt der entscheidene Moment: wenn das alles gut angebraten ist, mit einem Schuss Rotweinessig ablöschen. Einem Schuss? Na ja je nach Menge Huhn 3 EL als erste Näherung. Plus einer ähnlichen Menge gutem Rotwein, wen hätte es verwundert: Côte de Rhône, geht aber auch Minervois. (Allerdings: viele Rezepte basieren heute auf Balsamico-Essig.) Und wenn das eingekocht ist, sofort und frühzeitig Brühe dazu. Die Mengenverhältnisse sind entscheidend von der Qualität des Essigs und des Weins abhängig – man muss jetzt alle 5-10 Minuten abschmecken, ob mehr Essig, ob mehr Wein – und ob mehr Hühnerbrühe (die wir ja grad gemacht haben). Es darf nicht zu sehr nach Essig schmecken, der Wein darf nicht zu spät rein weil‘s dann nach Wein schmeckt, und die Brühe muss natürlich gut sein. (6) Diese Sauce wird gut eingekocht, ein Teil der Hühnerbrühe sollte schon verbraucht sein. Salz, Pfeffer, die restlichen Gewürze stammen aus dem Brühe. Jetzt ein ordentlicher Schuss Tomatenmark! Immer abschmecken, zu viel Essig? Zu wenig Essig? Ist ja auch nicht optimal, wenn die Essensfreunde am Schluss sagen: Essighuhn, aber wo bleibt denn der Essig? (7) Dann die Hühnerteile wieder rein, die Schenkel zuerst (5 Minuten vor dem Rest). Deckel auflassen, es darf aber NICHT anbrennen. Zur Not auch mal für 5 Minuten den Deckel zu. Wecker stellen auf jeweils 5 Minuten, immer wieder nachschauen, wenn man es britzeln hört, sofort Brühe nachgießen. Insgesamt 35-40 Minuten reichen, bis alles gar ist. (8) Durch die Wendung des Fleisches in Mehl und die Gemüse braucht man nicht unbedingt die Sauce zu binden. Gerade der Lauch verkocht weitestgehend und bindet auch etwas. Wenn das Huhn ne Leber hatte, zurdrücken und rein. (9) Vorspeise Salat mit Senf-Vinaigrette. (10) Zusätzliches Gemüse ist möglich (z.B. Pilze), aber nicht obligat. (11) zum Essen ein Baguette oder gern ein dunkleres Brot (Bucheron). (12) Rotwein, naheliegend. Das Abschmecken der Sauce ist die Aufgabe Nr. 1 und muss den gesamten Kochvorgang im Auge behalten werden. Man kann sehr gut mal einen Schuß Essig dazugeben, auch Rotwein. Man kann natürlich auch von vorneherein mit Balsamico arbeiten. Die Sauce ist das AuO des Rezeptes. Das Fleisch ist zart, die Sauce säuerlich (aber nicht zu sehr), trägt die Geschmäcker der Brühe – ein Gedicht.
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Poulet au Vinaigre: viel einkochen, nicht anbrennen!