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  27.10.2014 Innovationsfonds, 75 Mill. € für Versorgungsforschung - das Versorgungsstärkungsgesetz als Entwurf
  Seit drei Wochen ist der Referentenentwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) in der Diskussion, der 
  ungewöhnlich große Zahl von Regelungen enthält und sehr viele Themen betrifft. Man wird abwarten müssen, was am Ende 
  von diesem Entwurf übrigbleibt - er verspricht jedoch, ein Gesetz mit großer Tragweite zu werden. Hier der Versuch einer 
  Analyse.
  Der Gesetzesentwurf beinhaltet Änderungen im Bereich der Versorgung und Demographie, im Bereich der Struktur der 
  Versorgung bzw. Integration des Systems, zum Thema der Qualitätsperspektiven (z.B. Patientenbeteiligung, Nutzenbewertung 
  bei Medizinprodukten) und letztlich als ganz entscheidender Thematik die Einrichtung eines sog. Innovationsfonds beim 
  Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der der Evaluation von Strukturveränderungen des Gesundheitswesens und der 
  Versorgungsforschung dienen soll.
  ► (1) Zur Versorgung bzw. Demographie ist in erster Linie die Einrichtung der sog. Terminservicestellen (§75) zu nennen, 
  die die Unterversorgung von GKV-Patienten durch die Benachteiligung gegenüber Privatversicherten bei der Terminvergabe 
  reflektiert und einer (um es vorsichtig auszudrücken) Spezifizierung des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen 
  Vereinigungen (KV) gleichkommt. Die KVen sollen Versicherten Facharzt-Termine innerhalb von 4 Wochen garantieren, 
  anderenfalls müssen sie Termine zur ambulanten Behandlung in Krankenhäusern vorschlagen - “... es sein denn, eine 
  Behandlung innerhalb der Frist nach Satz 4 [4 Wochen, MS] ist aus medizinischen Gründen nicht erforderlich...”; die zitierte 
  Einschränkung wird natürlich bei der Umsetzung eine erhebliche Rolle spielen. Bei der Terminvergabe sollen je nach Patient 
  und Arztgruppe unterschiedliche “zumutbare Entfernungen” definiert werden, die z.B. auch die Verkehrsanbindung 
  berücksichtigen. Es ist zu hoffen, dass über diesen Umweg endlich die Diskussion um den Zugang bzw. um die 
  Zugangsindikatoren in der ambulanten Versorgung in Gang kommt, um die sektoral orientierte Krankenhausplanung in eine 
  regional orientierte Versorgungsplanung überführen zu können. Zum Abbau der ambulanten Überversorgung werden die 
  Bestimmungen in §103 verschärft (die Nichtwiederbesetzung eines Vertragsarztsitzes “soll” nicht erfolgen statt vorher “kann”), 
  gleichzeitig werden die Regelungen zur Behebung von regionaler Unterversorgung präzisiert (z.B. Ermächtigung der 
  Kommunen, MVZ in Eigenregie (auch ohne Zustimmung der KV) einzurichten (§95, Abs. 1a), Förderung von Kassenarztsitzen 
  durch den Strukturfonds der KV, auch ohne dass eine (drohende) Unterversorgung festgestellt ist (§105)). Die Weiterbildung 
  in Allgemeinmedizin wird stärker als bislang gefördert (§75a). Eine Honoraranpassung für nichtärztliche 
  Gesundheitsberufe soll auch ausserhalb unterversorgter Gebiete möglich sein (§87).
  ► (2) Die Regelungen zur Weiterentwicklung der Struktur des Gesundheitswesens, in der ersten Linie also zur 
  Integration und Sektorproblematik, sind außerordentlich widersprüchlich. Einerseits wird die Integration gefördert 
  (Verbesserung des Entlassmanagements der Krankenhäuser (§39), Pflicht zur Zulassung von Krankenhäusern zur 
  ambulanten Versorgung soweit der Landesausschuss Unterversorgung festgestellt hat (§166a), eigenes Honorarvolumen für 
  Praxisnetze (§87b), zusätzliche Erkrankungen als DMP (§137f)). Diesen Integrations-fördernden Momenten stehen jedoch 
  Regelungen entgegen, die die Segregation des Systems deutlich verstärken dürften. So wird definitiv festgelegt, dass in der 
  Vertreterversammlung der KVen “über die Belange, die ausschließlich die hausärztliche Versorgung betreffen, nur die 
  Vertreter der Hausärzte, über die Belange, die ausschließlich die fachärztliche Versorgung betreffen, nur die Vertreter der 
  Fachärzte ab[stimmen, MS]. Bei gemeinsamen Abstimmungen sind die Stimmen so zu gewichten, dass insgesamt eine Parität 
  der Stimmen zwischen Vertretern der Hausärzte und Vertretern der Fachärzte in der Vertreterversammlung besteht” (§79 Abs. 
  3a). Man braucht kein Management-Spezialist zu sein, um in aller Klarheit vorauszusehen, was das in praxi zu bedeuten hat - 
  wir können die Etablierung eines weiteren Sektors begutachten (hausärztliche Versorgung) mit der daraus folgenden 
  Potenzierung egoistischer Anreize. In der Honorarverteilung dürfen hausärztliche Leistungen nicht die fachärztlichen 
  Leistungen mindern und umgekehrt (§87b), dies bedeutet eine klare Abgrenzung dieser neuen sektoralen Budgets. Es werden 
  außerdem arztgruppengleiche MVZ ermöglicht (§95). Gleichzeitig werden die §§140a ff (vormals Integrierte Versorgung) 
  zusammen mit dem vormaligen §73c zur “besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung” in die Regelungen zur sog. 
  “Besonderen Versorgung” (BV) überführt: “Die besondere Versorgung ermöglicht Verträge über eine verschiedene 
  Leistungssektoren übergreifende oder eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung) oder die 
  Vereinbarung besonderer ambulanter Versorgungsaufträge” (§140a, Abs. 1). Wie es in der Begründung heißt, werden “die 
  Gestaltungsmöglichkeiten der Krankenkassen erweitert” und es ist zukünftig nicht mehr “zwingend erforderlich, einen 
  sektorübergreifenden Ansatz zu wählen oder besondere Versorgungsaufträge zu definieren”. Als Gegenstand der BV sind 
  auch Verträge möglich, die “allein die Organisation der Versorgung betreffen”. Der Kreis der Partner, mit denen die 
  Krankenkassen diese Verträge abschließen können, wird erweitert, z.B. werden Pharmazeutische und 
  Medizinprodukteunternehmen, Praxiskliniken nach §115 und KVen genannt, vor allem aber die “nach diesem Kapitel [Kapitel 
  Vier, also auch Krankenhäuser, MS] zur Versorgung der Versicherten berechtigten Leistungserbringern oder deren 
  Gemeinschaften” (Abs. 3). Die Integrierte Versorgung bleibt durchaus vorhanden, aber die Krankenkassen erhalten (nach 
  dieser Lesart) das Recht auf den Abschluss von Selektivverträgen mit allen Leistungserbringern. Man wird die Diskussion des 
  Entwurfs abwarten müssen.
  ► (3) Einige Regelungen betreffen die Qualität der Versorgung. Für Patienten wird bei Elektivleistungen das Recht auf 
  Zweitmeinung als Regelleistung eingeführt (§27b). Patienten erhalten im Innovationsausschuss (s.u.) ein Mitberatungs- und 
  Antragsrecht (§92a, b). Für Medizinprodukte wird eine Art der Frühbewertung durch den GBA hinsichtlich des Nutzens 
  eingeführt, der Verbotsvorbehalt für Krankenhäuser wird für Medizinprodukte der Risikoklassen IIb und III relativiert (§137h). 
  Für Zwecke der Sektor-übergreifenden Qualitätssicherung wird eine Zusammenführung unter Aufhebung der 
  Pseudoanonymisierung der Behandlungsdaten ermöglicht, um die Nutzung der “Sozialdaten” zu verbessern (§299). Eine 
  Sonderregelung betrifft die Haftpflicht der freiberuflichen Hebammen: Krankenkassen können die Hebammen nicht für Folgen 
  einer Fehlbehandlung heranziehen, sondern müssen die Kosten selbst tragen. Gerade diese letztere Regelung wird im 
  Zusammenhang mit der Thematik Patientensicherheit sicherlich noch weitere Kreise ziehen, denn sie ist auch für andere 
  Leistungserbringer attraktiv, die auf diese Weise ihre Haftpflichprämien in den Griff bekommen möchten.
  ► (4) Beim GBA wird ein Innovationsfonds eingerichtet, der mit jährlich 300 Mill. € ausgestattet ist, hälftig durch den 
  Gesundheitsfond und die GKV aufgebracht (§92a, b). Der GBA erhält hierdurch eine erhebliche Ausdehnung seiner 
  Kompetenzen, neben der Nutzenbewertung durch das IQWiG und der Qualitätssicherung durch das IQTiG aus dem GKV-
  FQWG erhält er jetzt die Möglichkeit zur Bewertung von strukturellen Veränderungen, die die GKV-Versorgung sowie durch 
  den GBA angestrebte Weiterentwicklungen angehen. 75% dieser Gelder werden für “neue Versorgungsformen [verwendet, 
  MS], die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen und hinreichendes Potential aufweisen, in die Regelversorgung 
  überführt zu werden. Gefördert werden insbesondere Vorhaben, die einen sektorenübergreifenden Ansatz enthalten und auf 
  eine Verbesserung der Versorgung oder eine Steigerung der Versorgungseffizienz ausgerichtet sind. Voraussetzung für eine 
  Förderung ist, dass eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Vorhaben erfolgt” (Abs. 92a, Abs. 1). Antragssteller 
  können alle zugelassene Leistungserbringer und Patientenorganisationen nach §140f sein, die Krankenkassen sollen “in der 
  Regel” beteiligt werden. 25% (also 75 Mill. € jährlich) werden für die Förderung der Versorgungsforschung durch den GBA 
  bereitgestellt, zum “Erkenntnisgewinn zur Verbesserung der bestehenden Versorgung in der gesetzlichen 
  Krankenversicherung” (Abs. 2). Als Antragssteller sind hier zusätzlich universitäre und nicht-universitäre 
  Forschungseinrichtungen berücksichtigt. Zur Verteilung der Gelder wird ein Innovationsausschuss eingerichtet, der analog 
  dem GBA-Vorstand (§91 Abs. 2) plus drei BMG-Vertretern besetzt wird: “drei vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen 
  benannte Mitglieder des Beschlussgremiums nach § 91 Absatz 2, jeweils ein von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, 
  der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft benanntes Mitglied des 
  Beschlussgremiums nach § 91 Absatz 2, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie drei 
  Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit ... Die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten 
  und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen erhalten ein 
  Mitberatungs- und Antragsrecht” (§92b). Das BMG kann durch die Gesamtheit der Stimmen der GBA-Vertreter überstimmt 
  werden, denn der Innovationsausschuss entscheidet mit einer Mehrheit von 7 Stimmen. Zur Unterstützung des 
  Innovationsausschusses wird eine Geschäftsstelle eingerichtet (§92b, Abs. 3, 4), die der fachlichen Weisung durch den 
  Innovationsausschuss und der dienstlichen durch den GBA-Vorsitzenden untersteht. Die Geschäftsstelle hat die 
  Förderbekanntmachungen zu erarbeiten und die Förderanträge fachlich zu begutachten.
  Die Bewertung dieses Gesetzentwurfes muss differenziert erfolgen:
  ● Der Innovationsfonds mit seiner erheblichen finanziellen Schlagkraft stellt einen Quantensprung dar. Erstmalig bestehen 
  die Möglichkeiten und die politische Absicht, Strukturen und strukturelle Änderungen des Gesundheitswesens einer 
  wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen, zweifelslos ein Reifezeichen für ein jedes Gesundheitssystem, das sich auf 
  einer höheren Entwicklungsstufe wähnt. 
  ● Die Versorgungsforschung wird durch die Finanzierung von 75 Mill. € jährlich (übertragbar) in Deutschland langfristig 
  etabliert und die Wissenschaftslandschaft hierdurch in einer Form verändert, dass sie internationalen Vorbildern entspricht.  
  ● Der Innovationsausschuss mit seiner Geschäftsstelle entspricht einem “dritten Institut” (neben IQWiG und IQTiG) des 
  GBA, dessen Einfluss hierdurch eine enorme Ausdehnung erfährt. Besonders das IQTiG wird durch den GBA nach den 
  vorliegenden Regelungen (GKV-FQWG) sehr eng kontrolliert, und gleiches wird entsprechend dem nach “Bänke-Logik” 
  besetzten Innovationsausschuss auch für den Innovationsfonds gelten. Dieser Tatsache kommt insofern eine große 
  Bedeutung zu, als dass sich der GBA nun bei der Evaluation seiner Maßnahmen selbst kontrolliert. Politisch bedeutet dies das 
  weitgehenste Experiment zur Übertragung von hohheitlichen Befugnissen auf die betroffenen Player (sog. Governance), das 
  in einem großen gesellschaftlichen Sektor in Deutschland vorgenommen wird. Die Diskussion wird dringend zu führen sein, 
  wie es um die demokratische und politische Kontrolle dieses Gremiums bestellt ist. 
  ● Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass die Wissenschaft bei der Verteilung der Mittel des 
  Innovationsfonds völlig von den Entscheidungen ausgeschlossen ist. Dieser Umstand widerspricht nicht nur der Autonomie 
  der Wissenschaft, sondern lässt auch starke Zweifel aufkommen, ob ohne Beteiligung der Wissenschaft Fragestellungen, 
  methodische Durchführung und Auswertung der Ergebnisse sinnvoll und sachgerecht aufgestellt bzw. durchgeführt werden 
  kann, vor allem wenn Untersuchungen und Studien in einem derart umfangreichen Maß vorgenommen werden sollen, wie sie 
  der Fördersumme entsprechen. Natürlich ist dabei auch der zusätzliche Sachverhalt zu prüfen, ob die Versorgungsforschung 
  in ihrem jetzigen Entwicklungsstand in Deutschland personell überhaupt in der Lage ist, die angestrebte Forschung 
  umzusetzen.
  ● Die Regelungen zur Versorgung und Berücksichtigung der demographischen Situation sind zusammenfassend als 
  schlüssig einzuschätzen.
  ● Problematisch erscheint Gesetzesentwurf besonders hinsichtlich der Frage der Integration. Die Überwindung der 
  Sektorierung als Haupthindernis für die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens wird durch die Regelungen 
  noch weiter verschärft (z.B. zunehmende Stärkung eines spezifischen Hausarztsektors). Es sind zwar einige Regelungen 
  vorgesehen, die die beiden Sektoren der sekundär-fachärztlichen Versorgung (ambulante Sekundärfachärzte und 
  Krankenhaus) zu einer besseren Koordination bewegen könnten (z.B. Stärkung der ambulanten Versorgung durch 
  Krankenhäuser, Entlassmanagement, Ausweitung der DMP, MVZ durch Kommunen, letztlich auch Terminservicestellen etc.), 
  aber vor allem die Regelungen zur Besonderen Versorgung (BV) lassen Zweifel aufkommen, ob bei diesem Thema die 
  Politik die richtigen Schwerpunkte setzt. Natürlich, man kann Selektivverträge und die Stärkung der Stellung der 
  Krankenkassen als probates Mittel ansehen, es ist nur zu befürchten, dass es bei der BV eher um sektorale Rationalisierung 
  und Kostensenkung gehen wird als um eine Weiterentwicklung des Geundheitssystemes zu einem regional organisierten, 
  hochgradig integrierten System, so wie wir es für die Bewältigung der Aufgaben der Zukunft (z.B. Demographie) brauchen.
  
  
 
 
 
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