3. Interventionen zur Verbesserung - Komplexe Mehrfachinterventionen oder Complex
Multicomponent Interventions
Keine Diskussion zum Verständnis und keine Zahlen über die Häufigkeit können etwas nützen, wenn man
nicht in der Lage ist, daraus praktische Konsequenzen abzuleiten, die eine nachweisbare und anhaltende
Verbesserung zur Folge haben. In der Vergangenheit sind international und in Deutschland (z.B. durch
das Aktionsbündnis Patientensicherheit) bereits sehr viele Maßnahmen entwickelt worden, z.B. zur
Vermeidung von Rechts-Links-Verwechselungen. Es hat sich aber herausgestellt, dass solche
Maßnahmen, die an einem einzigen Punkt ansetzen (z.B. Entwicklung einer entsprechenden Checkliste),
nicht zu einem durchschlagenden und vor allem anhaltenden Erfolg führen.
In den letzten 10 Jahren hat daher eine internationale
Entwicklung große Aufmerksamkeit erhalten, die auf der
Kombination von gleichzeitig eingeführten Maßnahmen beruht, die das gleiche Ziel
verfolgen, aber von ganz unterschiedlichen Ansatzpunkte ausgehen. Das prominenteste
Beispiel ist die sog. Michigan-Keystone-Studie, die im Weißbuch ausführlich dargestellt
und diskutiert wird (s.u.). Durch eine solche Mehrfachintervention konnte die Häufigkeit
von Katheterinfektionen bei schwerkranken Intensivpatienten von 7/1000 Patiententage
auf letztlich unter 1/1000 Patiententage vermindert werden.
Diese Mehrfachintervention umfasste zum Beispiel
- eine Leitlinie zur adäquaten Behandlung (hier: Hygiene-Richtlinien),
- Team-Trainings zur Förderung des Bewusstseins, dass es sich um eine Team-
Aufgabe handelt,
- Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheitskultur,
- Maßnahmen zur sichtbaren Verantwortungsübernahme durch die
Führungsebene,
- vergleichende Zahlen zur Häufigkeit des Unerwünschten Ereignisses
(a) im vorher-nachher-Vergleich und
(b) im Vergleich zwischen den teilnehmenden Einrichtungen.
Da es sich um eine der schwersten Komplikationen handelt, von denen Patienten im
Krankenhaus betroffen werden können, ist dies eine Maßnahme, die vermeidbare
Todesfälle in der Krankenhausbehandlung sichtbar vermindern kann. In Deutschland
sollten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, solche „Complex
Multicomponent Interventions“ (so der Fachterminus1, 2) breit zu entwickeln und zu
implementieren.
Es ist eine enge und weite Form des Begriffes der Komplexen Mehrfachintervention zu unterscheiden. Die enge Form kombiniert
mehrere Interventionen, die auf der gleichen Ebene liegen (z.B. mehrere Hygiene-Maßnahmen, sog. bundle-interventions), die
weite Form stellt dagegen Interventionen zusammen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und vor allem unterschiedliche
Wirkmechanismen umfassen (z.B. Hygiene-Maßnahmen, Teamtrainings, Interventionen zur Verbesserung der Sicherheitskultur).
Die weite Form stellt die eigentlich charakteristische Variante der CMCI dar.
Im APS-Weißbuch wird auf dieser Basis folgende Definition von Komplexen Mehrfachinterventionen (Complex Multicomponent
Interventions, CMCI) entwickelt:
Grundsätzlich sind bei den CMCI folgende Komponenten nachweisbar:
- primäre Intervention: eine Intervention stellt immer den primären Ansatzpunkt dar, z.B. die Einführung einer Checkliste,
und sollte idealerweise evidenzbasiert sein;
- technische Komponente: heute meist als digitale Unterstützung, steht meist sehr im Vordergrund;
- die Systemkomponente: politische Schwerpunktsetzungen, Normengebung, Vergütung und Vergütungselemente (das
klassiche Beispiel: die Auswirkungen einer DRG-Vergütung);
- Patienten als zentrale Akteure: Grad der Involvierung der Patienten;
- die organisatorische Komponente: Führungsverständnis, Team-Strukturen etc.;
- Lernen als zentrale Funktion: Messung und Feedback.
Im Gutachten wird ausführlich auf die Wirksamkeit der CMCI eingegangen.
In Kapitel 6 und Kapitel 7 werden die gesundheitspolitischen Implikationen dargestellt und eine neue “Agenda
Patientensicherheit” entwickelt. Die Forderungen werden auf der nächsten Seite summarisch genannt.
Weiter zu Fortsetzung 4: Agenda Patientensicherheit des APS.
Literatur
1 Berwick, D.M. (2008): The Science of Improvement. JAMA 299: 1182-84
2 Guise, J.-M., Chang, C., Viswanathan, M., Glick, S., Tradwell, J., Umscheid, C.A., Whitlock, E., Fu, R., Berliner, E., Paynter, R., Anderson, J., Motu’apauaka, P.,
Trikalinos, T. (2014B): Methods for Systematic Reviews of Complex Multicomponent Health Care Interventions. Agency for Healthcare Research and Quality Evidence-
based Practice Center, Rockville, USA, AHRQ Publication No. 14-EHC003-EF, March 2014
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Seite
Original-Gutachten Download
16.08.2018 Vorstellung des
“APS-Weißbuch Patientensicherheit - Sicherheit in der
Gesundheitsversorgung:
Neu denken, gezielt verbessern” (Forts. 3)
Pressekonferenz im Bundespressehaus, Berlin
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Im Weißbuch