Abb. 6
Auf den ersten Blick kann man es nicht anders sagen - die bisherigen Erfahrungen mit Pay for Performance, insbesondere die beiden großen Programme in den USA (Value-based Performance) und in Großbritannien (Quality and Outcome Framework), lassen die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Die an Qualitäts- und Patientensicherheitsindikatoren geknüpfte Vergütung führt nur zu quantitativ und zeitlich limitierten Verbesserungen, die Effekte sind reversibel, es gibt keinen spin-off für andere Erkrankungen außerhalb der Programme. Die organisatorischen Strukturen und die Arbeitsteilung der Berufsgruppen können teilweise günstig beeinflusst werden, aber ein breakthrough (Pearson et al. 2007) auf der Ebene des Gesundheitssystems sieht anders aus. Allerdings ist zumindestens in Deutschland bislang nicht die Frage beantwortet worden, ob die Erwartungen, die an P4P im Sinne eines one fits it all-Effektes gerichtet waren, überhaupt realistisch waren, und wie denn ein weiter gespannter konzeptioneller Rahmen, der den Hintergrund für die Generierung von Hypothesen über Wirksamkeit und Umfeldbedingungen des Einsatzes bilden könntet, aussehen könnte (Frolich et al. 2007). Um einen solchen konzeptionellen Rahmen zu konstruieren, wird in der vorliegenden Arbeit von folgenden vier Punkten ausgegangen: ► Ein conceptual framework muss die Vielfalt der Faktoren, die auf das Verhalten der Leistungsanbieter einwirken und den Effekt von P4P mit beeinflussen, berücksichtigen und gleichzeitig das Gesundheitssystem als Ganzes in seiner Reaktion auf P4P mit einbeziehen. Bevor man über den Nutzen von P4P abschließend urteilt, muss man über ein realistisches Bild zu den Kontextfaktoren seiner Einführung und Praxis verfügen, insbesondere weil sonst die Gefahr besteht, dass man mit P4P ein wirksames Prinzip von der weiteren Entwicklung ausschließt, obwohl die vermeintliche Wirkungslosigkeit durch inadäquate Einsatzbedingungen hervorgerufen wird. ► Auf der Grundlagen einer derart abgeleiteten Aussage über die erwartenden Effekte (unter spezifischen Umsetzungsbedingungen) können Zielerwartungen formuliert und die Evaluation geplant werden. Realistische Vorstellungen zur wissenschaftlichen Evaluation und deren möglichen Ergebnisse sind notwendig, damit nicht voreilig von “fehlendem Nutzennachweis” gesprochen wird, wenn die Studien zu P4P widersprüchliche oder “einerseits - andererseits”-Ergebnisse erbringen; schon an dieser Stelle soll angemerkt werden, es handelt sich dabei nicht um Medikamentenstudien sondern komplexe Versorgungsforschungsvorhaben. ► Dieses Vorgehen muss die Tatsache reflektieren, dass sich das Konzept einer Qualitäts- oder Effizienz-orientierten Vergütung auf der Seite der Gesundheitspolitik einer steigenden Beliebtheit erfreut. Wie eingangs bereits ausgeführt, spricht davon in Deutschland z.B. der Koalitionsvertrag vom 27.11.2013, aber auch der enorme, langfristige Ausbau von P4P- Programmen z.B. in den USA und in Großbritannien mit ihren sehr unterschiedlich strukturierten Gesundheitssystemen ist beeindruckend. Die politischen Entscheider müssen daher von realistischen Umsetzungsbedingungen und Erwartungen ausgehen können; der konzeptionelle Rahmen sollte dabei vor allem auch die Langfristigkeit der Entwicklung herausstellen (s. Kapitel 7 “Empfehlungen für die zukünftige Nutzung von P4P”). ► Bei der Entwicklung und Ausgestaltung eines conceptual framework darf P4P nicht als isoliertes Problem betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit anderen Themen im Gesundheitswesen zu sehen: Umsetzung von Leitlinien (Grimshaw et al. 2004), Einführung von Evidence-Based Medicine-gestützten klinischen Behandlungsmethoden (Bero et al. 1998), erfolgreicher Einsatz von Infection Control-Maßnahmen wie einer adäquaten Händedesinfektion (Erasmus 2010), Auswirkungen des institutionellen Qualitätsmanagements (Groene 2011), Verbesserungen auf dem Gebiet der Patientensicherheit durch die Instrumente, die in den letzten Jahren auf diesem Gebiet entwickelt worden sind (Wachter 2010). Diesen Themen ist eine manchmal erschütternde Langsamkeit in der Umsetzung der notwendigen Veränderungen gemeinsam, obwohl sie auf einer recht plausiblen Grundidee beruhen, die jedoch nicht Motivation genug zu sein scheint. Diese Tatsache ist um so erstaunlicher, als dass die genannten Instrumente und Konzepte für alle Beteiligten große Vorteile bei eigentlich nur geringem Aufwand versprechen (Beispiele mit exemplarischer Nennung): ● Leitlinien: Vereinfachung der Routine, Freisetzen von Zeit für komplizierte Patienten, Erleichterung der Aus- und Fortbildung für Berufsanfänger, Ausbildung von professionellen Standards; ● Evidence-Based Medicine: Verstärkung des akademischen Anspruchs, sowohl der Ärzte als auch der anderen, in der Akademisierung befindlichen Berufsgruppen, Legitimierung der Tätigkeit, Wissensbasis in der Ausbildung; ● Infection Control: Vermeidung von häufigen, vermeidbaren Komplikationen und Verbesserung der Behandlungsergebnisse, finanzielle Ersparnisse und Imagegewinn; ● Qualitätsmanagement: Lernen, schrittweise Verbesserung der Strukturen, strategische Beweglichkeit, Anpassung an Innovationsprozesse; ● Patientensicherheit: Entlastung im Bereich der Fehlerproblematik, geringeres Risiko medikolegaler Konsequenzen, finanzielle Entlastung und Sicherheit durch Erhalt der Versicherbarkeit; ● P4P: Qualität statt Menge heißt letztlich, nicht mehr dem Mengenanreiz (”Hamsterrad”) ausgeliefert zu sein, sondern eine qualitativ hochstehende Versorgung umsetzen zu können. Diese Diskrepanzen können nur so erklärt werden, dass sie das Fehlen eines konzeptionellen Rahmens widerspiegeln. Gleichzeitig stellen sie einen wichtigen Informationshintergrund für dessen Entwicklung dar, der gesamte Kontext dieser Themen und Instrumente ist mit in die Betrachtung einzubeziehen. Im vorliegenden Artikel wird dabei, in einem sicherlich vereinfachenden Bild, von einem Zusammenwirken von vier Kontextdomänen ausgegangen (s. Abb. 6): ● die Domäne der Professionen, ● die Ebene der Organisationen bzw. Institutionen, ● die wissenschaftliche Akzeptanz und Absicherung und ● die gesellschaftlichen (politisch-ökonomischen) Grundannahmen. Für die Analyse entscheidend ist die Einsicht, dass Anpassungen auf der Ebene einer einzelnen Kontextdomäne das Problem nicht lösen. Zwar können Interventionsstudien gelegentlich nachweisen, dass eine Berücksichtigung einzelner Faktoren zu einer Verbesserung der Umsetzung führt, aber eine nachhaltige Strategie, die auch situationsunabhängig und strukturübergreifend wirksam wäre, konnte sich daraus bislang nicht entwickeln. Die Organisationen im Gesundheitswesen sind durch eine starke professionelle Bindung der Leistungsträger geprägt (s. unten), die Bindung an die Organisation selbst ist schwach. Aber auch die gesellschaftliche Domäne, sei sie jetzt mehr als politische verstanden oder als Ebene des ökonomischen Diskurses, kann allein nicht “durchregieren”. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Ebene. Einerseits weisen die oben genannten Beispiele einen sehr unterschiedlichen Grad der wissenschaftlichen Absicherung auf, so können z.B. Infection Control-Maßnahmen wie die adäquate Händedesinfektion als hochgradig abgesichert gelten, für die positiven Effekte von Qualitätsmanagement oder eben P4P ist dies jedoch nicht der Fall. Vor allem aber besteht auch der wissenschaftliche Kontext nicht voraussetzungslos, sondern ist mit dem Objekt inhaltlich verbunden. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der Evidence-Based Medicine, deren positivistische Grundannahmen (lineares Model, Identifikation isolierter Einzelfaktoren etc.) historisch zwar dringend geboten erscheinen und bei biomedizinischen Interventionen auch weiterhin geboten sind, bei Themen wie P4P oder anderen komplexen Interventionen jedoch an ihre Grenzen stoßen (Broom et al. 2009). Um Veränderungsstrategien im Gesundheitswesen zu entwickeln und einen Horizont für realistisch zu erwartende Veränderungen zu beschreiben, wird in den nächsten drei Kapiteln ein konzeptioneller Rahmen entwickelt, der von der Beschreibung der Einrichtungen des Gesundheitswesens als Expertenorganisation (professional bureaucracy) ausgeht und zentrale Botschaften der System- bzw. Komplexitätstheorie mit einbezieht. Weiter: 3. Motivation ..., 3.2. Professional Bureaucracy, 3.2.1. Konzept
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3. Motivation, Organisation, System 3.1. Kontext von P4P: Vier Domänen
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Abb. 6: Kontext individueller Verhaltensänderung am Beispiel P4P. In vereinfachter Form können die Domänen der professionellen Akzeptanz, der Organisation, der wissenschaftlichen Absicherung und die gesellschaftliche Ebene (einschl. ökonomischer Grundannahmen) unterschieden werden.
M. Schrappe P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller Rahmen und Handlungsempfehlungen